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Ich habe ihn geliebt

Er war von stattlicher Figur und einer Erhabenheit, die einem selten begegnet. Er wirkte beruhigend, wie er so da stand und einen von all dem Trubel rings herum abschirmte. Die Aura, die er verströmte, muss man erlebt haben – wow. Seine Laubkrone warf einen weiten Schatten – wie sich das für einen Baum gehört. Sie lud zum Verweilen ein und Nachsinnen, schützte vor der Hitze auf dem Asphalt. Nicht wenige Moabiter, die ihn aufsuchten, werden wissen, was ich meine. Das ist nun vorbei – der wunderbare alte Baum nahe der Thusneldaallee wurde gefällt.

Ursprünglich rettete ihn sein Standort – nicht am Straßenrand, sondern eben im Ottopark. Der aber wurde nun, im Zeitalter der Sichtachsen, sein Verhängnis. Mich macht das betroffen – und an diesem Nachmittag rang ich um Fassung.

Was sollen mir theoretische Abhandlungen, trockene Argumente von Landschafts- oder Stadtplanern? Hier wurde ein Prachtexemplar vernichtet – einfach weg damit. Wie kann man so entscheiden? Wo bleibt da der Respekt? Unsere arabischen Mitbürger formulieren das oft so treffend – Respekt vor dem Individuum, vor dem Alter, der Schöpfung…

Wahrscheinlich werde ich auch ohne Baum weiter leben, werde meine Arbeit für das Quartiersmanagement Moabit Ost fortsetzen. Dazu gehört, um Bürgerbeteiligung zu werben und Anwohner von Projekten wie „Grüner Kiez“ zu überzeugen. Nur wird mir das nie mehr so gelingen – ernüchtert, wie ich bin. Ich wäre gern weiter mit Herzblut bei der Sache – für einen lebenswerten Kiez, gute Nachbarschaft, Verständnis füreinander.
Aber das kommt mir heute eher vor wie hohle Worte.
Schade.

PS. Längst beobachte ich, wie heutzutage in Berlin Bäume beschnitten, gekappt oder gekürzt werden, was das Zeug hält. Anschließend wundert man sich kurioser Weise über die geringe Standfestig- oder hohe Anfälligkeit unserer Straßenbäume. Allein, wer weiß schon noch, dass das Astwerk genau deshalb so weit ausgebildet ist, damit die Blätter über den Wurzeln Schatten spenden und somit die Feuchtigkeit halten.

Autorin: Gudrun Radev, LayoutManufaktur, 7. Okt. 2011

6 Kommentare auf "Ich habe ihn geliebt"

  1. 1
    Susanne says:

    Und ich vermisse die herrlichen Fliederbüsche am Humboldthafen. Jedes Jahr haben sie so herrlich und üppig geblüht, dass ich gar kein schlechtes Gewissen hatte mir einige Zweige mitzunehmen. Sie sind dahin. Die ganze Böschung ist gerodet. Dabei gibt es doch noch gar kein Bauvorhaben. Das dauert bestimmt noch ein paar Jährchen!

  2. 2
    vilmoskörte says:

    Der Beitrag zeigt ganz gut, warum es so schwer ist, mit Baumschützern in einen konstruktiven Dialog zu treten. Einerseits sind sie extrem emotionalisiert und betrachten Bäume gleichsam als ebenbürtige Wesen, indem sie ihnen eine große Zahl menschlicher Eigenschaften zuschreiben. Andererseits scheinen sie mir oft ein wenig unter Realitätsverlust zu leiden, wenn’s um die Sache geht: da werden Sichtachsen etwas ganz Neues, obgleich sie spätestens seit Lenné als gestalterisches Element im Landschaftsgarten auftauchen, gleichzeitig werden die vielen Argumente der Landschaftsplaner für die Umgestaltung des Parks als „trocken“ (weil nicht emotionsgeladen?) beiseite gefegt und ganz einfach allein auf den Wunsch nach dem Herstellen ebendieser Sichtachsen reduziert, die Kronen von Bäumen, die im Ottopark auf der Wiese stehen, schützen vor der Hitze des Asphalts, und solche von Straßenbäumen, die auf der versiegelten Fläche stehen, halten darunter das Wasser.

    Kaum jemand mit Sachverstand wundert sich über die Anfälligkeit von Straßenbäumen, die einer enorm hohen, vielseitigen Belastung ausgesetzt sind, es ist nicht der Baumschnitt, der Standfestigkeit und Anfälligkeit bewirkt. Wenn man Bäume so vermenschlicht, dann wird allerdings jeder Baumschnitt schnell zu einer Armamputation.

  3. 3
    Lars says:

    Danke vilmoskörte für diesen Kommentar!

  4. 4
    prolet says:

    Kleine Ergänzung zu vilmos:
    Sichtachsen wurden gern im absolutistischen Barock angelegt, auch im Städtebau. Die Seestraße ist so eine alte Sichtachse vom Gartensalon des Charlottenburger Schlosses zum Schloß Schönhausen, man kann es durch das Anlegen eines Lineals auf einer topographischen Karte leicht selbst überprüfen. Sieht man sich sehr alte Karten der Berliner Umgebung an, so wird klar, daß auch die damalige Ansiedelung der Hugenotten in Moabit im Bereich einer alten Sichtachse vom Berliner Stadtschloß zur Festung Spandau entstanden ist. Lennè und seine Kollegen haben dagegen eher mit sehr viel kürzeren Blickachsen gearbeitet, d. h., daß man nach einer Wegbiegung z.B. einen überraschenden Blick auf einen prächtig entwickelten Einzelbaum oder Baumgruppe einer anderen Blattfärbung, auf ein Gewässer oder auf ein Bauwerk hatte, den man etliche Meter davor nicht hatte, sondern nur ahnen konnte. Die Kunst dabei war, diese Effekte natürlich wirken zu lassen (im Gegensatz zu den ornamental abgezirkelten Broderie-Parterres des Barock). Das geht natürlich nicht in einem völlig zugewucherten Gebiet, dort kann man eher schon Angst vor der nächsten Wegbiegung haben, weil man nicht wissen kann, was da eventuell droht.

  5. 5
    Rané says:

    Ich wiederhole mich nur ungern, aber bei unseren Straßenbäumen kommt
    es auf die Baumart an. Bei meinen vielen Touren mit dem Fahrrad entlang
    der Bundesallee wurden, wie fast überall, die falschen Bäume gepflanzt.
    Vor allem Bäume mit ausgeprägtem Wurzelwerk sind ungeeignet für
    die Straße oder vor Häusern. Wann endlich wird hier Sachverstand eingesetzt ?
    Und was die gefällten Bäume betrifft, brauchen wir eine Neupflanzregelung im
    Verhältnis von 1 zu 3. Dann erst können wir über Parkgestaltung im Sinne von
    Ludwig, dem Sonnenkönig reden.

  6. 6

    […] ein schöner Artikel auf Moabit Online. Bewerten: Teilen:E-MailFacebookTwitterTumblrMehrStumbleUponDiggDrucken « Unter […]

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