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Die bespuckte Ausstellung

Die Ausstellung der Initiative „Sie waren Nachbarn“ erlebte nicht nur Vandalismus, sondern auch eine peinliche Räumung durch eine Bezirksamtsabteilung

ecke_CE-250Mit Vandalismus hat auch Aro Kuhrt viel zu tun. Mehrmals musste die Initiative „Sie waren Nachbarn“ die Vitrine vor dem Rathaus Tiergarten reinigen, in der im November ihre kleine Ausstellung zu deportierten Moabiter Juden zu sehen war. Seit vielen Monaten hatten sie sich ehrenamtlich diesem Thema gewidmet. Sie recherchierten Biografien und Adressen von jüdischen Moabitern, die vor 70 Jahren von den Nazis ermordet worden waren, sie druckten Listen mit Namen und Adressen und schufen Plakate, die persönliche Schicksale deutlich machten. Nachdem die Plakate schon im letzten und in diesem Jahr u.a. im Schaufenster des ehemaligen Hertie-Kaufhauses und an anderen öffentlichen Orten zu sehen waren, konnten sie im November in der Vitrine vor dem Rathaus eine kleine Ausstellung zeigen: mit den Namenslisten und Plakaten und einer kleinen Installation mit teils sehr persönlichen Exponaten wie alten Koffern aus der Zeit der Deportationen u.a.

Die kleine Ausstellung geriet jedoch nicht wegen des Vandalismus groß in die Medien, sondern weil plötzlich am 7. November Mitarbeiter des Bezirksamtes auftauchten und anfingen, die gerade eben erst aufgebaute Ausstellung eigenmächtig wieder abzubauen – ohne, dass die Initiative vorab darüber informiert worden war. Und das zwei Tage vor dem 9. November, dem Jahrestag der Reichspogromnacht. Ein Mitarbeiter des Bezirksamtes habe den Abbau angeordnet. „Dabei ist ausdrücklich den Hausarbeitern des Rathauses zu danken, die mehrmals nachfragten, ob sie die Ausstellung wirklich abbauen sollen, was doch so kurz vor dem 9. November nicht in Ordnung sein könne. Sie haben alle Ausstellungsstücke sehr sorgsam behandelt, so dass das meiste wieder zu verwerten war. Auch mehrere andere Personen innerhalb des Bezirksamts setzten sich sehr für uns ein“, sagt Kuhrt. „Als Begründung sagte uns dann eine zuständige Sachbearbeiterin, dass für die Ausstellung keine Genehmigung vorgelegen hätte, was nicht stimmt. Bereits im Herbst 2011, also vor mehr als einem Jahr, wurde sie uns schriftlich zugesagt, und zwar für den 1. bis 30. November 2012. Uns war es wichtig, dass die Ausstellung auch noch nach dem 9. November zu sehen ist. Plötzlich hieß es, wir stünden gar nicht auf der Liste der Anmeldungen für den Schaukasten, der Stadtrat brauche die Vitrine.“

Die Räumung schlug politische Wellen, sorgte für eine breite Protestwelle und etliche Medienberichte. Sofort am nächsten Tag entschuldigten sich Stadtrat und Bezirksbürgermeister bei der Initiative, die am Abend die Ausstellung wieder aufbauen konnte, und sagten ihre Unterstützung zu. Auch der Leiter der zuständigen Abteilung entschuldigte sich bei einem späteren Gespräch und versicherte, es habe sich um ein Missgeschick gehandelt – offenbar sei auf den Vormerklisten die Belegung der Vitrine für den November versehentlich doppelt vergeben worden, die Aktion habe keineswegs einen politischen Hintergrund.

Das ist wohl so – und dennoch wundert man sich über die Instinktlosigkeit und den eklatanten Mangel an Sensibilität: Warum werden Sachbearbeiter nicht stutzig, dass ausgerechnet diese Ausstellung am 7. November geräumt werden soll, warum gab es da keine Nachfragen und keine Information an die Initiative?

Das Ganze hat nichts mit Vandalismus oder politischer Motivation zu tun, wohl aber mit schlichtem Versagen im Amt.

Dennoch ist die Initiative ständig mit Vandalismus konfrontiert, was Kuhrt lakonisch schildert. „Wir mussten immer mal wieder saubermachen, die Vitrine wurde bespuckt und beschmiert. Auch als die Plakate im Hertie-Gebäude hingen, wurden dort ständig die Scheiben verdreckt.“

Und diese Form von Vandalismus ist durchaus antisemitisch motiviert, dafür sprechen auch diverse Kommentare und Beschimpfungen, die sich die Initiative bei ihren Aktionen immer mal wieder anhören muss.

Und dann erinnert er noch daran, dass im Dezember 2010 plötzlich ca. 30 Neonazis durch die Wilhelmshavener Straße marschiert waren, mit Fackeln und in Nazimontur, rechtsradikalen Parolen wie „Ausländer raus“ und „SA marschiert“. Mitten in Berlin, zum Entsetzen der Anwohner. Zwei Wochen später riefen sie zur Demonstration gegen Nazis.

Text: Ulrike Steglich, Foto: Christoph Eckelt, Bildmitte

Zuerst erschienen in der ecke turmstraße, Nr. 9 – dez. 2012 – jan. 2013

www.sie-waren-nachbarn.de

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