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„Die Moabiterin“ von Uli Hannemann

uli-hannemann-250Uli Hannemann las am ersten Tag von „Inselglück“ in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung einige amüsante Geschichten aus seinem Buch „Neulich im Taxi“, erschienen bei Ullstein. Nach „Hähnchen leider“ und „Neulich in Neukölln“, mit denen er auch schon bei Klaus-Peter Rimpel zu Gast war, reizten diese selbstironischen und absolut unübertroffen überspitzten Geschichten das Publikum wieder zu Lachtränen. Der Buchhändler hatte die „Verhaftung“ mittels DDR-Handschellen angedroht, falls die Moabiter wieder beleidigt würden, was sich auf eine frühere Lesung bezog. Aber nein, ungeteilte Begeisterung. Der Neuköllner darf wiederkommen.

MoabitOnline hat sich auf die Suche nach Moabit-Literatur gemacht: So baten wir den Autor um seinen Text „Die Moabiterin“ und danken Uli Hannemann für die Abdruckgehmigung. Er leitete den Text ein, als Reminiszenz an eine schöne alte Zeit, als das Rauchen noch überall erlaubt war …

Die Moabiterin

„Darfick roochen?“, fragt die Moabiterin, als sie mit brennender Zigarette und ihren zwei kleinen Kindern am Urban-Krankenhaus in mein Taxi steigt.
„Wenn Sie wollen“, erwiderte ich und schränkte die Erlaubnis mit einem subtil versteckten Hinweis im selben Moment raffiniert wieder ein: „Ist bestimmt gut für die Kinder.“
„Ja, isses“, nickte sie, „famma Moabit: Lehrter Straße!“
Wir fahren los. Wegen der Hitze sind das Schiebedach und die Fenster geöffnet. Vorne und zunächst auch hinten, wo sie von der Moabiterin im Nu geschlossen werden. Dabei bläst sie ihrem Söhnchen den Rauch direkt ins Gesicht. Der Junge hustet.
„Ich’loube, der hat süsch erkältet“, reklamiert die Moabiterin, „mamma vorne Fenster zu.“ Ich kurbele die Fenster hoch und sorge so innerhalb kürzester Zeit für den Hitze-Effekt einer Sauna, in der eine Skatrunde für das Guinness-Buch der Rekorde schon den dritten Tag ununterbrochen raucht, trinkt und schwitzt. Wir sind erst fünf Minuten unterwegs, da zündet sich die Moabiterin bereits die dritte Zigarette an. Die beiden anderen glimmen halbgeraucht im Aschnebecher und verbreiten einen tödlichen Dunst, der das Auto durchzieht wie Giftgas die Schützengräben vor Verdun. Während ich fahre, stehe ich nun halb auf dem Fahrersitz, recke oben den Kopf aus dem Dach und lenke mit nach unten durchgestreckten Armen. Draußen zeigen Radfahrerrinnen mit Fingern auf uns, vermutlich weil sie noch nie einen Taxifahrer gesehen haben, der sich für den Kommandanten eines Schützenpanzers zu halten scheint und eine zur Funkkraftdroschke umgebaute Dampflok fährt. Wenigstens bekomme ich auf diese Weise gerade genug Luft, um die wichtigsten Körperfunktionen aufrechtzuerhalten, doch auf dem Rücksitz muss es die Hölle sein: Kein Wunder, dass nun auch das Töchterchen hustet und keucht.
publikum-250„Die Kleene is ooch erkältet“, kombiniert die Moabiterin, „mamma Schiebedach zu.“
Willenlos schließe ich das Dach. Ansonsten halte ich einfach die Luft an, um eine Rauchvergiftung zu vermeiden, und fahre immer schneller, da ich nur begrenzt die Luft anhalten kann.
„Mutti, mir ist schlecht“, jammert das Mädchen.
„Denn rooch do’eene, hier“, empfiehlt die Moabiterin und zündet ihrem Kind eine Marlboro an. „Is aber würli’schleschte Luft hier. Haste keene Klimaanlare in deener Jurke?“
„Mutti, ich hab Hunger“, meldet sich der Sohn zu Wort. Hunger? Hier und jetzt? Er muss wirklich vollkommen unempfindlich sein: ein Nikotin-Mutant?
„Rooch do’eene“, empfiehlt die Moabiterin. Jetzt rauchen alle drei. Ich halte die Luft an und rase, was sdas Zeug hält.Es geht ums nackte Überleben. Dabei übersehe ich um ein Haar eine Radfahrerin, denn der Sauerstoffmangel beginnt allmählich, meinem Gehirn zu schaffen zu machen.
„Die kannste ruisch rischti‘ umnieten“, zwitschert die Moabiterin gut gelaunt.
„Warum sollte ich?“ frage ich interessiert.
„Weilick Rattfah‘ einfa‘ nüsch lei’n kann“, erklärt sie auf ihre Art schlüssig.
Ich wäge ab, ob ich ihr großzügiges Angebot annehmen oder ablehnen soll: Einerseits würde Umnieten bestimmt kolossal fetzen, andererseits wäre das sicher verboten – wie alles, was richtig Spaß macht. Ich entscheide mich folglich, die Dame nicht umzunieten. Ohnehin sind wir schon so weit vorbeigefahren, dass ich umkehren und sie suchen müsste, aber dazu reicht der Sauerstoff nicht mehr aus.
„Mutti, ich hab immer noch Hunger“, quengelt der Mutant.
„Okay, okay“, seufzt die Moabiterin, „denn kieken wa no’zu Mustafa. Paar Haribo holen, Sixpack Schulli für Vati und Stange Marlboro für müsch. Hattma Kiosk“, wendet sie sich an mich. Sie bezahlt, und alle taumeln röchelnd und hustend zum nächsten Zeitungsladen. Ich lüfte die Kiste und durchwühle das Handschuhfach, bis ich endlich finde, was ich gesucht habe. Das Pausenzigarettchen habe ich mir redlich verdient.

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