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Perleberger Straße 29 – die Masche mit der Kunst

Perle-29-orange-250Vor knapp zwei Jahren hat MoabitOnline kurz über das „Haus, an dem die Englein schweben“ berichtet und sich gefragt, welcher Künstler sich dort wohl „ausgetobt“ habe. Das Rätsel wurde gelöst! Natürlich war dieser Blickwinkel ein wenig einseitig; zugegeben. Und ob es sich bei dieser ungewöhnlichen Fassadendeko um Kunst oder Kitsch handelt, sei mal dahin gestellt.

Danach wurde und wurde die Fassade einfach nicht fertig. Das Gerüst am Erdgeschoss stand länger als ein Jahr. Zwischenzeitlich wechselten auch die Erker ihre Farbe von hellblau zu orange. Seit wenigen Monaten erst sind die letzten Englein installiert, das Gerüst ist verschwunden, ein Ladenfenster wird zur Ausstellung eines großen Gemäldes genutzt. Und der Eigentümer des Hauses, die spark::ling AG, ist von der Kollwitzstraße nach Moabit gezogen.

Fenster-250Aber was ist eigentlich im Haus passiert? Was ist mit den Mietern geschehen? Sind sie, wie es ein Passant ausdrückte: „wie die Englein geschwebt-  mit einem Arschtritt aus ihren Wohnungen“? Im September 2013 beim Turmstraßenfest erzählte ein Mieter am Infostand des „Runden Tisches gegen Gentrifizierung in Moabit“, dass sich seine Miete fast verdoppelt hätte. Andere Mieter haben schon mehrere Modernisierungsankündigungen erhalten, die erste ist von 2011 und die nach den Modernisierungen angekündigten Mieten wurden immer höher. Wer will zum Beispiel für fast 60 qm nahezu 800 € zahlen. Modernisiert werden sollen auch Wohnungen, die bereits mit Bad und Heizung ausgestattet sind, denn das Haus wurde 1972 umfassend saniert. Also haben Mieter der Modernisierung widersprochen. Sie sehen nicht ein, warum eine neue Zentralheizung eine Modernisierung sein soll. Dass eine marode Heizung mal erneuert werden muss, halten sie für normal, denn schließlich stammte die alte Ölzentralheizung aus dem Jahr 1972! Die neue Gasheizung wurde im Oktober 2012, also nach 40 Jahren, eingebaut. Die Kunst von Modernisierungsfirmen besteht darin, die Kosten für notwendige Instandsetzung in den Modernisierungskosten zu verstecken und damit auf die Mieter umzulegen. Eine gängige Praxis, man könnte sie auch Betrug nennen. Deshalb sollten Mieter die Bauarbeiten genau beobachten.

Stuckelement-200Seit Februar 2011 wird in der Perleberger Straße 29 immer mal wieder gebaut, die ersten Modernisierungen wurden per Aushang von der Thies-Bau GmbH angekündigt. Davor liefen seit Ende 2010 junge Männer durch’s Haus und inspizierten u.a. Dachböden und Lichtschächte. Erst im Mai 2011 gab die alte Hausverwaltung bekannt, dass das Haus verkauft worden sei, zunächst an die MIB Perleberger Straße 29 GmbH, später umfirmiert in moving berlin GmbH. Auch für weitere Häuser wie z. B. die Sonnenallee 162 oder die Silbersteinstraße 117 wurden gleichnamige GmbHs mit der jeweiligen Straße und Hausnummer gegründet, Sitz dieser Firmen war die Kollwitzstraße 60, seit dem 13.6.13 ist es die Perleberger Straße 29. Hausverwalter wurde die J. Schröder & Co. GmbH. Es gibt ein umfangreiches Firmengeflecht, zu dem auch die Roter Klee Manufaktur gehört, die Kunstfliesen und Stuckelemente herstellt.

Mieter berichteten zusätzlich von Schikanen, von bösen Briefen mit Unterstellungen: Müll würde nicht getrennt, Türen würden nicht geschlossen. Es soll noch weitere Unregelmäßigkeiten gegeben haben. So hätte die neue Hausverwaltung zum Beispiel einen Wachschutz als Betriebskosten abrechnen wollen. Doch habe dieser dazu gedient, die Baustelle zu bewachen aus Angst vor Kupferdieben. Wenn Baustellen monatelang brach liegen, ist es wenig verwunderlich, wenn Material verschwindet. Und in der Perleberger Straße 29 stand die Baustelle sogar fast ein ganzes Jahr lang still. Die Baufirma ging im Februar 2012 pleite. Kritische Geister stellen sich die Frage, wer davon profitiert haben könnte.

Engleiin-loch-200Auch in diesem Haus hat die berüchtigte Entmietungsfirma Pro Soluta mit einigem „Erfolg“ gearbeitet, lange bevor sie in der Oldenburger Straße aktiv wurde. Am Klingeltableau ist es abzulesen: eine Menge Wohnungen stehen leer. Im Vorderhaus etwa die Hälfte und auch einige im Seitenflügel. Auch das gehört zur Kunst von Modernisierungsfirmen, Mieter erschrecken mit hohen Modernisierungskosten, wie auch in der Krefelder Straße 22 geschehen. „Wenn sich die Miete nach Modernisierung verdoppelt, dann werden diejenigen, die sich das nicht leisten können, schon ausziehen.“ Das Kalkül ist teilweise aufgegangen, einige Mieter haben schon bald das Weite gesucht. Sie konnten sich wohl nicht vorstellen, dass sich die Arbeiten so lange hinziehen werden. Deshalb: jeder Mieter sollte sich beraten lassen, welche Modernisierungsmaßnahmen er überhaupt dulden muss.

Schaufenster-250Manchmal stehen die Handwerker auch einfach ohne Ankündigung vor der Tür und wollen Fakten schaffen. Vielen Mietern fällt es gar nicht so leicht, dann hart zu bleiben. Zufällig haben Mieter auch schon Kaufinteressenten im Treppenhaus getroffen. Einige Wohnungen wurden im Internet als Eigentumswohnungen angeboten. Ob schon welche verkauft wurden?

Um auf Kunst oder Kitsch zurückzukommen. Die spark::ling AG arbeitet in verschiedenen Häusern oder Wohnanlagen nicht nur in Berlin, auch in Zittau (hier wurden sogar Fördermittel der Europäischen Union eingesetzt) mit dem Pop-Art-Künstler Sergej A. Dott zusammen und der mit der Roter Klee Manufaktur, womit sich ein Kreis schließt. Die Kunstprojekte können also durchaus die Akzeptanz von Modernisierungen erhöhen sowohl bei Presse und Öffentlichkeit als auch bei Bauämtern. Vielleicht erhöhen sie auch den Preis? Und somit kann auch die Popart auch eine Modernisierungsmasche sein.

Mieter aus der Perleberger Straße 29 freuen sich über Kontakte und Austausch mit Mietern aus anderen Häusern. Kontakt bitte über: kontakt@wem-gehoert-moabit.de, die mails werden dann weitergeleitet.

Fotostrecke: Kunst oder Kitsch, das ist hier die Frage, Lilien am Hinterhaus, Engel an der Fassade und im Hauseingang. Es sind Engel-Folien, die den Eindruck von alten Wänden mit fehlendem Putz hervorrufen sollen. Der Durchgang zum Seitenflügel ist noch in Arbeit, auf dem außen angebauten Fahrstuhl Lilien und Engel zusammen und ein Metall-Klops im Hof.

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Nachtrag:
balkone2014-250Eine Kurzversion des Artikels ist im MieterEcho 345, Februar 2014 erschienen.

Am 10. Mai 2014 berichteten Mieter beim Kiezspaziergang über die Situation im Haus. Es laufen aktuell Räumungsklagen, eine Familie musste ihre Wohnung schon verlassen. Einige Mieter haben sich zwar zu einer Mieterversammlung getroffen, sie haben auch Unterstützung von Rechtsanwälten und Mieterorganisationen, da jedoch nur noch wenige übrig sind, ist es schwer eine Mietergemeinschaft aufzubauen.

Im Februar wurden übrigens ohne Modernisierungsankündigungen Balkone am Seitenflügel angebaut, wie auf dem Bild zu sehen.

August 2014: Die „Kreativität“ der Investoren

2016: es gibt nur noch einen der Alt-Mieter im Haus.

2018/19: Eigenbedarfskündigung des letzten Alt-Mieters und Räumungsklage (MieterEcho).

12 Kommentare auf "Perleberger Straße 29 – die Masche mit der Kunst"

  1. 1
    Passant says:

    Mittlerweile sieht es so aus, als ob schon 70% der Mieter das Weite gesucht haben.

  2. 2
    H. E. says:

    Ich kann nur immer wieder empfehlen:

    Wenn der Hauseigentümer wechselt, sollte man sofort in den Berliner Mieterverein eintreten, damit man im Falle einer Sanierung Rechtsberatung und Rechtsschutz hat. Es kostet nur 7,50 € im Monat und kann sehr viel Ärger und hohe Kosten ersparen.

  3. 3

    Es gibt viele andere Beispiele in Moabit, wo ähnliches passiert, z.B. in der Oldenburger Straße 42a+b und 43. Hier ein Bericht:
    http://wem-gehoert-moabit.de/2013/12-mieter_innen-aus-der-oldenburger-strasse-42-43-halten-zusammen/

  4. 4
    Rané says:

    Nicht nur in Moabit, diese miese Praxis betrifft ganz Berlin. Und nicht nur Mieter, sondern auch Käufer von Eigentumswohnungen. Es bringt nichts, sich nur gegen die zahlreichen Einzelfälle sich zu wehren, der Fisch stinkt bekanntlich vom Kopf und das ist dieser derzeitige Berliner Senat mit seiner „Baumafia“ auf allen, betone allen Ebenen.

  5. 5
    R@lf says:

    Tscha, Rané, in Berlin stinkt der Fisch sogar von beiden Seiten her: vom Kopf UND vom Schwanz! Wenn ich da an eine bestimmte Affaire in der Vergangenheit denke, muss mensch das nicht mal metaphorisch verstehen. Wahrscheinlich stellt sich die Frage wieder mal nicht OB der Fisch korrupt ist, sondern nur in welchem Ausmaß. Und ich fürchte da werden wir in Zukunft, wenn mal wieder alles rauskommt, noch einige stinkendfischige Schwänze erleben, während das einfache Volk sich wie gehabt mit den übriggelassenen Gräten = Schulden begnügen und beschäftigen darf…
    Denn es gäbe ja durchaus ganz gesetzliche Handhaben, um solchen und anderen Vögeln und Fischen das Leben sauer zu machen und das Handwerk zu legen. Das dies NICHT geschieht, sondern sogar in einer unbekannten Zahl von Fällen sogar die Justiz auf Seiten der Übeltäter ihre Finger mit im Spiel hat, läßt nichts Gutes ahnen und noch weniger auf Änderung hoffen.
    Wer jetzt meint, dass der alte R@lf wieder mal übertreibt, lese zuerst das Buch „KORRUPT?“
    http://www.randomhouse.de/ebook/Korrupt-Wie-unsere-Politiker-und-Parteien-sich-bereichern-und-uns-verkaufen/Mathew-D-Rose/e371171.rhd
    http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/mathew-d-rose-der-investigator-von-berlin-a-321596.html

    Wer dann noch der Meinung ist, dass schon alles mit rechten (?!) Dingen zugeht, dem ist nicht zu helfen. Alle anderen müssen sich selbst helfen und sich mit Leuten zusammentun, die die Dinge gründlich und grundsätzlich ändern wollen.
    Leider kommt in Berlin zu den „normalen“ korrupten und für die Allgemeinheit teueren Spielchen als lokale Spezialität der Handelnden eine offenbar abgrundtiefe Dummheit und Unfähigkeit hinzu. Quod erat demonstrandum an den Ergebnissen der Vereinigungsjahrzehnte bis heute. Und das gilt nicht nur für das vielleicht zukünftige „Luftkreuz“, das wir dann alle zu (er)tragen haben werden.

  6. 6
    Pariya says:

    Vergangenen Herbst war ich in Berlin. Nicht allein wegen des Bauhaus-Museums war ich dort, aber gerade dieses Museum wollte ich längst mal besuchen. Sehr schön. Was für eine Moderne nach all den stilistischen Verirrungen des 19. Jahrhunderts! Meine Erwartungen wurden übertroffen. Und noch voller Eindrücke Bauhaus gelangte ich nach Moabit in die Perleberger Straße. Ein Haus fiel mir auf, ein Anti-Bauhaus. Es war dieses Haus, dessen Bilder ich nun im Internet entdecke. War das möglich? Was für ein Kitsch!

  7. 7
    H. E. says:

    An Pariya:
    Danke, dass Sie es so deutlich gesagt haben. Sie haben leider nur zu recht.

    Und das nicht nur hier. Da gibt es neuerdings einen großen Neubau an Alt Moabit hinter dem Restaurant Paris-Moskau. Welch ein Glück, dass dieses kleine alte denkmalgeschützte Restaurant immer noch vor diesem Neubau steht, der mir von der Fassade her eine Erweiterung des Plötzenseer Knastes zu sein scheint. Es soll sich jedoch – kaum zu glauben – um ein Ministerium der Bundesrepublik Deutschland handeln.

  8. 8

    Guten Tag und Hallo.
    In 1000 Berlin 21, Perleberger Str. 29 / Wohnung im 4. Stock.
    Ja, hier erlebte ich eine gute / eine schöne Lebenszeit.
    4 Zimmer, Balkon, Bad und WC, Küche, Kohlenkammer, Speisekammer und Mädchenkammer.
    Im 1. Stock waren damals als Mieter ein Kinderhort ein Zahnarzt und im parterre war eine Gaststätte.
    Seinerzeit gab es zwei Seitenflügel. Das Kino war ausgebombt. Der Zugang zum Kino war von uns aber auch von der Stendaler Str. zu erreichen.
    Polizei-Revier gegenüber. Perleberger / Wilsnacker Str. erste Etage.
    Von der Perleber Str. bog die Straßenbahn unüberhörber quietchend in die Rathenower Str. ein.
    Mit freundlichen Grüßen
    Wilfried Kupsch, Philippines, dated 5. März 2015

  9. 9
    Georg Ziegler says:

    an Wilfried Kupsch

    Glückwunsch, Herr Kupsch. Da haben Sie damals fürstlich gelebt: Vier Zimmer mit Blick einerseits nach Südosten, andererseits nach Nordwesten, und der Verkehr war damals auch bestimmt leiser als heute – Straßenbahn ausgenommen. Die Gaststätte im Erdgeschoß existierte sehr lange. Natürlich hat sie häufig Namen und Küche gewechselt. In den 1970ern hat sie ein Kroate für sein „Split“ übernommen. Punkt Mitternacht ließ er immer Lale Andersen das Lied von Lili Marleen singen: Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, steht eine Laterne … Worauf mancher Gast mit einer Bestellung reagierte: „Eine serbische Bohnensuppe, bitte!“

    Aber hatte das Haus wirklich einen linken Seitenflügel? Und könnte das Kino nicht dort gestanden haben, wo heute der Neubau mit der Adresse Stendaler Straße 18a bis 18b oder c steht? Denn wenn Sie einen Balkon hatten, dann kann dieser nur zum Hinterhof hin ausgerichtet gewesen sein. Und der Balkon konnte nur dort sein, wo ein eventueller linker Seitenflügel hätte andocken müssen.

    Gruß
    GZ

  10. 10
  11. 11
    Zeitungsleser says:

    Zur Eigenbedarfskündigung und Räumungsklage des letzten Alt-Mieters:
    https://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2019/me-single/article/wo-soll-ich-denn-hin.html

  12. 12

    Die Räumungsklage des letzten Altmieters wurde heute vor dem Amtsgericht abgewiesen, Urteilsverkündung in 2 Wochen.

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