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„Meine Wurzeln sind da, wo ich bin“

Rahim Shirmahd betreibt das Atelier „Fotoethik“ in der Gotzkowskystraße. Das Fotostudio ist gleichzeitig ein kleines Café – mit Lesungen und wechselnden Ausstellungen

Rahim_Sh_CE-250„Man muss in Rahims Café auf die Details achten“, sagt Udo. Er wohnt um die Ecke und kommt fast jeden Tag vorbei. „Letztens ist ihm eine Kaffeetasse runtergefallen und zerbrochen. Ein anderer hätte sich darüber geärgert. Doch Rahim hebt die Tasse auf und stellt die eine Hälfte, mit Kaffee gefüllt, im Schaufenster aus.“

Rahim Shirmahds Café ist keine 20 Quadratmeter groß – es gibt drei kleine Tische und eine Bar. Hier bereitet der gebürtige Iraner Kaffee zu und serviert frischen Kuchen. Über dem Türrahmen, wo man normalerweise eine Uhr vermuten würde, hängt eine rote Filmrolle. Dahinter befindet sich sein Fotoatelier. Ein junges Paar trifft ein: Verlobungsfotos. Der Fotograf und Filmemacher geleitet die jungen Leute nach hinten und beginnt mit dem Shooting. Schon bald hört man ausgelassenes Gelächter und Rahim Shirmahds besänftigende Stimme.

Schon früh interessierte er sich für das Medium Fotografie. Er wuchs in Susa auf, einer Stadt im Südwestiran. Dort lernte er als Teenager die Kunst der manuellen Fotokolorierung, die er auch heute noch als besondere Dienstleistung anbietet. Mit 17 Jahren drehte er seinen ersten Film: „Ein Engel unter uns“. Der Experimentalfilm dokumentierte das Leben einer jungen Prostituierten, in die er verliebt war, bevor sie auf die schiefe Bahn geriet. Nach der islamischen Revolution verließ Rahim seine Heimat. Am Heiligabend 1980 erreichte er Deutschland und bewarb sich zunächst für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften. In Tübingen konnte er sich eine neue Existenz aufbauen. Er arbeitete als Fotograf für die lokale Presse, organisierte einen Freundeskreis für Flüchtlinge, gab in diesem Rahmen die Zeitung „Internationale Freundschaft“ heraus und schwärmte für den großen Dichter Friedrich Hölderlin, dessen Grab er regelmäßig besuchte. „Konflikte zwischen den Kulturen kommen zustande, weil die Leute keine Ahnung voneinander haben. Ich fühlte mich immer schon verantwortlich für die Gesellschaft in der ich lebte, und versuchte, mich einzubringen. Entwurzelt habe ich mich nie gefühlt. Meine Wurzeln sind da, wo ich bin.“

„18 Minuten Zivilcourage“
Im August 1987 betritt sein Freund und Landsmann Kiomar Javadi ein Lebensmittelgeschäft in Tübingen. Er wird des Diebstahls bezichtigt. Mitarbeiter des Geschäfts nehmen den jungen Mann in den Würgegriff, bis er stirbt. Die anschließende Gerichtsverhandlung, bei der die Täter zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt wurden, und die Reaktionen der Anwohner hat Rahim Shirmahd in seinem Film „18 Minuten Zivilcourage“ dokumentiert.  Die Umstände, unter denen sein Freund starb, und die rassistischen Reaktionen einiger Bürger haben ihn damals zutiefst erschüttert. „Alle öffentlichen Instanzen haben versagt. Ich hätte das vorher nicht für möglich gehalten, dachte ich doch, in einer aufgeklärten und rechtschaffenden Gesellschaft angekommen zu sein.“

In Moabit lebt Rahim Shirmahd seit 2008. Seine früheren Erfahrungen haben keine Verbitterung erzeugt,  sondern vielmehr den Wunsch gestärkt, ein positives Zeichen zu setzen. „Man soll doch nicht den Inkompetenten das Feld überlassen, sondern sich aktiv für ein besseres Umfeld einsetzen. Dieses Gebiet funktioniert wunderbar. Hier ist nichts künstlich eingepflanzt, sondern die Struktur ist natürlich gewachsen. Moabit ist ein netter, bodenständiger Stadtteil mit ehrlichen und realistischen Menschen. Ich wollte schon immer an einem Ort sein, an dem man sich auf so vielfältige Weise austauschen kann.“

Neben seinem Fotobetrieb führt Rahim Shirmahd seit einem halben Jahr das kleine, improvisierte Café. Er organisiert Ausstellungen, Lesungen, Märchenabende. „Hier kommen Leute rein mit viel Tagesfreizeit, aber wenig Geld – viele Kreative oder Rentner wie ich“, sagt Stammgast Udo. Rahim Shirmahd versteht es, eine ganz besondere Mischung an Menschen um sich zu versammeln, die sein Café als Treffpunkt nutzen und das gemeinsame Gespräch suchen. Reich wird er damit sicher nicht – zumindest nicht im materiellen Sinne. Mit seiner charmanten und zuvorkommenden Art ist er allerdings eine Bereicherung für andere.

Text: Nathalie Dimmer, Foto: Christoph Eckelt (bildmitte)

Zuerst erschienen in “ecke turmstraße“, Nr. 2 – März 2014

Fotoethik – Atelier Café Mitte
Gotzkowskytraße 15 (Inh.: Rahim Shirmahd), Öffnungszeiten: Mo.-Sa. 10-18 Uhr, T.: 0176 64 26 14 38

Nachtrag:
Interview in Moabit am Sonntag.

Ein Kommentar auf "„Meine Wurzeln sind da, wo ich bin“"

  1. 1
    bloggi says:

    Zwar anderthalb Ecken weiter, aber sehr schön beschrieben:
    An der Ecke: Beussel- /Turmstraße
    http://www.mitvergnuegen.com/2014/an-der-ecke-beusselstrasse-turmstrasse/

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