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Ein Sieg für die Meinungsfreiheit

Das Transparent an der Calvinstraße 21 darf hängen bleiben.

Das hat das Landgericht bei der Berufungsverhandlung heute entschieden. Die Atmosphäre im Gerichtssaal war eher launig und entspannt, denn schließlich ging es „nur“ um ein Transparent und nicht um so etwas Existentielles, wie die Duldung der Modernisierung. Diese hatte das Gericht schon im Herbst 2013 abgelehnt. Die damals von der Rechtsanwältin des Vermieters für die nächste Woche angekündigte neue Modernisierungsankündigung haben die Mieter bis jetzt immer noch nicht erhalten. Doch gerade die Meinungsfreiheit, die heute verhandelt wurde, ist ein wichtiges Gut, das es zu verteidigen gilt.

transpi-1l-gr-250Es gab nicht genug Stühle für alle interessierten Zuschauer. Unter anderen kamen auch zwei Mieterinnen vom Hansa-Ufer 5 um den Prozess anzuschauen. Eine Bank  durfte aus dem Flur hereingetragen werden. Sie wurde an die Seite gestellt, was der Richter so kommentierte: „Ich hoffe die Hufeisenform hindert nicht die Rechtsfindung.“

Dann ging es um die Fakten. Geklärt wurde mit Hilfe von Fotos aus den Akten, wie die Fassade zur Zeit aussieht. Sie dürfte dem hier abgebildeten Foto vom September 2013 entsprechen. Zwischenzeitlich waren die beiden Transparente mit fünf Lagen Planen verdeckt worden. Im Hauptartikel zur Calvinstraße 21 auf MoabitOnline „Fahrstuhl weg, Keller zu“ (mit allen Nachträgen und Filmbeiträgen ab Juni 2012) ist ein Foto der verhängten Plakate zu sehen. Diese Planen wurden vor ca. eineinhalb Wochen wieder abgenommen, womit sich die Widerklage der Mieter bereits erledigt hat.

Beide Transparente hängen schon seit 2011, doch erst zwei Jahre später reichte der Vermieter die Klage ein und auch nur gegen das Transparent „Wir lassen uns nicht Luxussanieren“ der Czaparas. Der Mieter der darüber liegenden Wohnung wurde nicht beklagt. Das Amtsgericht hatte zu Gunsten der Mieter entschieden. Eine vom Berufungsgericht mit Vergleichsvorschlägen angeregte gütliche Lösung kam nicht zustande. Gesprochen wurde auch darüber zu welchem Zweck das Gerüst dort stehe und ob es noch für Arbeiten gebraucht werde. Die Plane trägt schließlich zur Verdunkelung der Wohnungen bei. Die Rechtsanwältin des Vermieters konnte dazu keine konkrete Auskunft geben, meinte jedoch, dass das Gerüst dort stehen bleibe bis die Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt seien, worauf Rechtsanwalt Müller als Vertreter der Mieter konterte: „bis der letzte Mieter ausgezogen ist“.

Schließlich legte das Gericht die Entscheidungsgründe dar. Einen Entfernungsanspruch des Vermieters wegen „vertragswidrigem Gebrauch der Mietsache (§541 BGB) sah es nicht als gegeben. Es ging hauptsächlich um die Abwägung zwischen §14 Grundgesetz zum Eigentum und §5 GG zur Meinungsfreiheit, wobei ausdrücklich erklärt wurde, dass es sich bei dem Transparent nicht um eine Schmähkritik handele und der Vermieter nicht persönlich angeprangert werde. Eine Beeinträchtigung des Aussehens der Fassade läge zwar vor, jedoch sei im jetzigen Zustand mit Gerüst und Plane von der Hausfassade nicht mehr viel zu sehen, was der Vermieter selbst zu verantworten habe. Die Kammer hält die Berufung für unbegründet, insbesondere wegen des Außenzustandes der Fassade und vor dem Hintergrund, dass das Modernisierungsbegehren noch nicht aufgegeben wurde, darf das Transparent hängen bleiben. Ein klarer Sieg für die Meinungsfreiheit.

Nachtrag:
Artikel im MieterMagazin, Juli/August 2014

7 Kommentare auf "Ein Sieg für die Meinungsfreiheit"

  1. 1
    Matthias says:

    Die Mieter haben de Wahl: Entweder dauerhaft in einem Hartz4-Ghetto leben – oder Veränderungen von aussen zulassen. Viertel, bei denen die soziale Mischung kaputt ist, reparieren sich nie von Innen – immer nur von Aussen. Zumindest zeigen das Langzeit-Studien in US-Slums. Die Impulse kamen von Studenten, Künstlern, Kleingewerbe oder Mittelstand, der von aussen zuzog. Das Braten im eigenen Saft bedeutet Stagnation – und für die Kinder, die dort geboren werden, dauerhaft weniger Gesundheits-, Bildungs- und Lebenschancen. Transferlesitungs-Empfänger „produzieren“ weitere Transferleistungs-Empfänger. Loser-Mentatiität produziert mehr Loser-Mentalität. Leute, die im Umfeld von Übergewichtigen Leben, tendieren selbst zu mehr Übergewicht. Es fehlt an positiv besetzten Rollen-Modellen. Aber soweit ist der Erkenntnis-Prozess bei den alteingesessnen Moabitern noch nicht. Zu ihrem eigenen Schaden bremsen sie den Wandel.

  2. 2
    Susanne Torka says:

    HÄÄHH??
    was hat denn Dein Kommentar mit der Calvinstraße 21 und dem Kampf der Mieterinnen dort zu tun?

  3. 3
    prolet says:

    Kommentar 1 hätte man eigentlich wegen Verstoß gegen die Netiquette löschen müssen, denn allen Informationen nach handelt es sich bei keinem der Mieter um „Transferleistungsempfänger“, sondern um Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben und nun um ihre Wohnung fürchten müssen (im Ursprungsartikel ist von der ältesten Person die Rede: 84 Jahre). Also stellt der Kommentar einer Verleumdung dar. Aber scheinbar steht der Schreiber auf dem Standpunkt, daß nur derjenige ein Wohnrecht in Moabit hätte, der genug Geld mitbrächte.

  4. 4
    Matthias says:

    Nun, es geht offenbar um das, was man in diesem Haus und Kiez als „Luxussanierung“ betrachtet. Zumindest steht das so auf dem Transparent.

    Darauf bezogen stellen sich die in diesem beleidigten Blog versammelten Autoren und Kommentatoren in der Regel eine Art „einfrieren“ der städtebaulichen Entwicklung ihres Kiezes vor – zu ihren eigenen Gunsten. Wandel soll draussen bleiben – ausser er kommt dem eigenen Lebensstil entgegen.

    Wenn man über den Kiez-Tellerrand hinausschaut – in den Rest Deutschlands oder gar in Europas grössere Städte, ist das was in Moabit passiert keineswegs brachiale und skandalöse „Luxussanierung“ oder „Verdrängung“ – sondern sehr moderat. Das will man aber offenbar im Kiez lieber nicht wissen.

    Darüber hinaus ist nicht abzustreiten, dass die Zahl der Transferleistungsempfänger im Kiez unhaltbar hoch ist. Dazu zählen natürlich auch Rentner. Damit der Kiez nicht vollends absäuft, ist er auf ständige Finanzinfusionen von woanders angewiesen. Das reicht vom Arbeiter, der beim Daimler in Stuttgart am Band steht bis hin zum Arzt in Hamburg. Ohne das man denen Steuern und Sozialabgaben abknöpft und sie in Kieze wie Moabit schaufelt, wäre dort längst der Teufel lost.

    Worauf es mir aber eigentlich ankommt ist die Tatsache, dass die Morbider mit ihrem Kampf gegen Aufwertung und damit erst mögliche soziale Durchmischung ihre eigene Benachteiligung und die ihrer Kinder festschreiben. Das ist schade. Wie gesagt, Verliererumfelder produzieren statistisch weitere Verlierer. Und Verbesserung kommt statistisch nur von aussen.

  5. 5
    Kai says:

    @Prolet
    Aber er hat doch gar nicht behauptet, dass die betreffenden Mieter “Transferleistungsempfänger” sind. Er hat deutlich das Umfeld angesprochen. Ich teile diese Einschätzung hinsichtlich der Calvinstrasse zwar nicht, eine Verleumdung ist es aber sicher nicht.
    Ganz generell profitiert Moabit ganz sicher von frischem Blut durch Zuziehende. Und Investitionen in Neubauten und Modernisierungen sollte eigentlich auch jeder begrüßen. Das muss halt einigermassen sozialverträglich ablaufen.

  6. 6
    Susanne Torka says:

    Ich möchte darum bitten, die Debatte um Aufwertung, Verdrängung, das für und wider doch bitte nicht unter diesem Artikel zu führen, sondern z.B. hier „Was ist und was wird?“. Da passt es thematisch:
    https://moabitonline.de/817

    Meines Erachtens handelt es sich bei den vom Gericht ja bis jetzt noch abgelehnten Modernisierungsmaßnahmen um Luxussanierung (ohne Anführungszeichen): Grundrissveränderungen von bewohnten Wohnungen, Fußbodenheizung und vieles mehr, was die Mieten um ca. 5 Euro pro Quadratmeter verteuern soll. Und das in einem Nachkriegsbau! Die Mieterinnen und Mieter sind zu bewundern, dass sie es bis jetzt gemeinsam geschafft haben, das Ansinnen der Terrial abzuwehren, angesichts der nervenaufreibenden Prozesse. Wenn ich mich nicht täusche haben sie sich bis jetzt schon mehr als 50 mal vor Gericht getroffen.
    Und … @Matthias,
    Moabit war noch nie ein Hartz4-Ghetto, denn es haben schon immer Wohlhabende und Arme in Moabit zusammengelebt. Diese Mischung wollen wir, die „beleidigten Blogger“, gerne erhalten. Mal abgesehen davon, dass es in Deutschland überhaupt gar keine Ghettos gibt. Das kann aber vielleicht noch kommen, wenn die Seggregation, Vertreibung aus der Innenstadt, so weitergeht.

  7. 7
    prolet says:

    „Die Mieter haben die Wahl: Entweder dauerhaft in einem Hartz4-Ghetto leben – oder Veränderungen von aussen zulassen. Viertel, bei denen die soziale Mischung kaputt ist, reparieren sich nie von Innen – immer nur von Aussen.“ So steht es einleitend im Kommentar, der sich auf den Kampf der Mieter um Meinungsfreiheit bezieht – und nicht auf Gesamt-Moabit. Kai schreibt: „Er hat deutlich das Umfeld angesprochen. Ich teile diese Einschätzung hinsichtlich der Calvinstrasse zwar nicht, (…).“ Damit hat er völlig recht, denn das erst um 1900 bebaute Gebiet südliche von Alt-Moabit wies von Anfang an bessere und beste Wohnungen auf (vielfach mit Dienstbotentreppenhaus im Seitenflügel). Damit ist für mich klar, daß die Mieter als „Hartzer“ verunglimpft werden sollen, was ja mit „auf ständige Finanzinfusionen von woanders angewiesen. Das reicht vom Arbeiter, der beim Daimler in Stuttgart am Band steht bis hin zum Arzt in Hamburg“ noch untermauert wird. Daß die Mieter selbst ihr Leben lang gearbeitet haben und nun deshalb verdientermaßen ihre Rente beziehen, wird ebenfalls verunglimpft: „Darüber hinaus ist nicht abzustreiten, dass die Zahl der Transferleistungsempfänger im Kiez unhaltbar hoch ist. Dazu zählen natürlich auch Rentner.“

    Vor Jahren mußte ein Ärztekammerpräsident seinen Hut nehmen, als er für ein „sozialverträgliches Frühableben“ eingetreten ist. Sind wir jetzt so weit, daß wir solche Losungen vielleicht eher zu dulden bereit sind? Uns wird ja beinahe jeden Tag vorgerechntet, was uns „die Alten“ von Jahr zu Jahr mehr kosten würden – wann tauchen entsprechende Rechenbeispiele wieder in den Schulbüchern auf? Es geht im Artikel (und vor allem im Ursprungsartikel) darum, daß sich langjährige Mieter gegen eine mit brachialen Methoden durchgezogene Luxusmodernisierung erfolgreich vor Gericht zur Wehr gesetzt haben – auch gegen eine versuchte Bevormundung!

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