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Heimatverein Tiergarten besuchte Hafenkapelle

Die Schifferkirche im Westhafen direkt am U-Bahnausgang steht zwar noch, wird aber in Zukunft anders genutzt werden. Nicht nur aus Geldmangel hat die Evangelische Binnenschiffergemeinde Berlin-Brandenburg diese seit 1968 bestehende Schifferkirche mit 80 Plätzen aufgegeben und am 14. November 2009 die Hafenkapelle eröffnet – ein Datum mit Geschichte, wie sich zeigen wird. Im Zwischengebäude zwischen der Halle 1 und dem Getreidespeicher mit Turm am Hafenbecken liegen der kleine Andachtsraum mit 20 Plätzen und das Büro des Schifferpfarrers Fedor Pfistner. Am vergangenen Wochenende besuchte der Heimatverein Tiergarten im Rahmen seiner monatlichen Führungen diesen Ort. Pfistner berichtete ausfürhlich über die Geschichte der Binnenschiffergemeinde und zeigte alte Fotos sowie den Film „Ein Tag auf Spree und Havel„, den der SWR 2006 über seine ungewöhnliche Arbeit gedreht hat.

Am 25. Juni 1900 wurde die Vereinigung zur kirchlichen Fürsorge für Fluß- und Kanalschiffer e.V. gegründet, die bis heute die Arbeitsmöglichkeiten für den Schifferpfarrer bereitstellt. Die Vereinsgründung hatte einen längeren Vorlauf. Als Begründer der Schifferseelsorge gilt Johann Hinrich Wichern, der nicht unumstrittene Begründer der Diakonie, die 2008 seinen 200. Geburtstag groß feierte (seine Tätigkeit als „Gefängnisreformer“ könnte Moabitern durch das Moabiter Zellengefängnis, jetzt Geschichtspark, bekannt sein). Ausgangspunkt war eine Konferenz der Inneren Mission 1849. Der erste 1870 in Hamburg in kirchlichem Auftrag eingesetzte Schiffer-Missionar war ein Diakon aus dem Rauhen Haus. Ab 1877 war in Berlin ein Missionar aus Antwerpen tätig.  Schiffergottesdienste wurden zunächst im Freien durchgeführt bis am 14. November 1904 die schwimmende Schifferkirche eingeweiht werden konnte. Bis 1944 war die Schifferkirche auf den Binnengewässern in Berlin und Brandenburg unterwegs. Sie hatte verschiedene Liegeplätze, u.a. an der Seestraßenbrücke, zwischen Seestraßen- und Ludwig-Hoffmann-Brücke, am Tegeler Weg oder im Humboldthafen.

Ihr Modell ist in der Hafenkapelle ausgestellt. Auch die Bibel mit eigenhändiger Widmung der Kaiserin Auguste Viktoria, im Volksmund Kirchenjuste genannt, und Exemplare des Wochenblattes „Gute Fahrt“ schmücken die Vitrine. Die Berichte dieser Zeitschrift machten der Öffentlichkeit die Lebensbedingungen und Schwierigkeiten der Binnenschiffer bekannt und hatten dazu beigetragen, dass die Kaiserin an der Einweihung der schwimmenden Schifferkirche teilnahm. Weitere historische Gegenstände werden noch heute bei Gottesdiensten oder Taufen benutzt.

1902 wurde der erste Schifferpfarrer in Berlin eingestellt. Pfistner ist erst der sechste Pfarrer und seit 1995 im Dienst. Soziale Anliegen, aufsuchende Arbeit und die Auseinandersetzung mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Binnenschifferfamilien, die oft seit vielen Generationen auf dem Wasser unterwegs sind, waren von Anfang an bestimmend für die Arbeit. So ging es z. B. schon in der Zeit um 1900 um die Sonntagsarbeit.  „Wenn die Menschen nicht zur Kirche kommen, dann muss die Kirche zu den Menschen kommen“, diesem Motto ist die Binnenschifferseelsorge bis heute treu geblieben, selbst wenn der Schifferpfarrer seit August 2009 nur noch einen Tag die Woche Zeit für die Schiffer hat und ansonsten bei der Evangelischen Studierendengemeinde arbeitet.

Der 60jährige Fedor Pfistner kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Aufgewachsen in Mahlsdorf, Ostberlin plante er als Jugendlicher eine Karriere als Radsportler. Da er nicht Mitglied der Freien Deutschen Jugend war, wurde ihm diese verwehrt. „Ich war Beatles-Fan und wurde so zum Staatsfeind“, so seine Worte. Christ wurde er mit 18 Jahren, studierte mit Unterbrechung Theologie, ließ sich aber auch im Haus der jungen Talente zum „Schallplattenunterhalter“ ausbilden. Musik ist immer noch sein Hobby, er tritt mit Keyboard und Gitarre bei Festen auf. Zunächst war er Landpfarrer, bevor er seit 1982 in Kaulsdorf-Nord eine Gemeinde aufbaute. In Wendezeiten gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Ostberliner Grünen und war für sie Mitte der 1990er Bezirksverordneter in Hellersdorf. Doch bei den Grünen ist er heute nicht mehr. Als die Schifferpfarrerstelle 1995 frei wurde, war er sofort begeistert. Bootsführerschein und Funkzeugnis waren kein Hindernis. Pfistner ist mit ganzem Herzen dabei, seit 1999 lange im Wartestand, da die Stelle gestrichen wurde, und jetzt – wie gesagt – nur noch einen Tag. Viele Einzelheiten der Lebensgeschichte des Pfarrers kann man Presseartikeln entnehmen, wie „Die Visionen hat er sich nicht nehmen lassen“ von Tanja Täubner. Susanne Frömel ging im Sommer 1999 mit ihm auf seinem Boot „Wichern Arche Nova“ auf Tour und Tobias Kurfer wählte im Sommer 2009 für seinen Bericht denselben Titel „Die gute Seele der Kanäle„.

Wer noch mehr Interesse an der Binnenschifffahrt und der Schifferseelsorge hat, kann in einer bunt bebilderten 34seitigen Broschüre „Kurs auf den Menschen“ des Verbandes der evangelischen Binnenschiffergemeinden nachlesen.

Hafenkapelle Westhafen, im Zwischenbau Halle 1 und Getreidespeicher, Westhafenstrasse 1, 13353 Berlin, Tel.: 030/398 79 119, mob. 0179/515 75 76.

3 Kommentare auf "Heimatverein Tiergarten besuchte Hafenkapelle"

  1. 1
    Afra Evenaar says:

    Schöner Beitrag, vielen Dank.

  2. 2
    suse says:

    natürlich kein Vergleich zur berühmten Schifferkirche in Aahrenshoop von
    Hardt-Waltherr Hämer
    http://vilmoskoerte.wordpress.com/2009/06/30/schifferkirche-ahrenshoop/

  3. 3

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