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Grün-rote Zählgemeinschaft in Mitte

Alter Wein in neuen Schläuchen oder eine echte Chance für eine neue Politik?

Vor dem Beginn der gestrigen konstituierenden Sitzung der Bezirsverordnetenversammlung (BVV) Mitte hatte die Initiative „Hände weg vom Wedding“ und die kämpfenden Mieter*innen der Koloniestraße zu einer Protestkundgebung „Gegen Rassismus, Verdrängung und für eine solidarische Stadt von untenaufgerufen. Warum die Mieter*innen bei der öffentlichen Sitzung mit Verweis auf das Hausrecht nicht eingelassen wurden, ist nicht bekannt. Aber es verwundert. Neben den Wahlen zum BV-Vorstand und Ältestenrat standen eine Änderung der Geschäftsordnung und die Tagungstermine der BVV auf der auf der Tagesordnung. Mit mehr oder weniger Spannung war die Wahl des neuen Bezirksamts Mitte, d. h. Bürgermeister und Stadtratsposten erwartet worden, der ein regelrechtes Tauziehen der Parteien um die Ressorts vorausgegangen war. Die verschiedenen Verwaltungsbereiche werden komplett neu sortiert.

Einen Tag vorher hatten Grüne und SPD ihre Zählgemeinschaftsvereinbarung unterschrieben. Neben Personalien sind darin der Rahmen für die Politik der nächsten fünf Jahre vereinbart: bezahlbarer Wohnraum, Bürgerbeteiligung, ein neues Verkehrskonzept sowie Umwelt- und Klimaschutz. Gute Ideen, die aber erst umgesetzt werden müssen.

In der neuen BVV Mitte sitzen 55 Bezirksverordnete. SPD und Grüne stellen je 14 Verordnete, Die Linke zehn, CDU sieben, FDP drei und die Piraten zwei, weshalb sie keine Fraktion bilden können. Auch die AfD bildet mit fünf Bezirksverordneten eine Fraktion in der BVV Mitte. Um deren Einschätzung zu erleichtern bietet die Initiative „Hände weg vom Wedding“ ein erstes Dossier an, das sich nicht nur mit den Verordneten sondern auch mit den bekannteren Personen des AfD-Bezirksverbandes beschäftigt. Alle Fraktionen und Einzelverordneten sind hier auf der Webseite der BVV zu finden. 

Gruppenfoto von Ephraim Gothe, Stephan von Dassel, Sabine Weißler und Carsten Spallek

Ephraim Gothe, Stephan von Dassel, Sabine Weißler und Carsten Spallek (v.l.n.r), Foto Susanne Torka

In der heutigen Pressekonferenz stellte sich 80% des neuen Bezirksamts vor. Denn gestern wurden nur vier von fünf Stadträt*innen gewählt. Sven Diedrich, Spitzenkandidat Der Linken, zog seine Kandidatur für die Abteilung Jugend und Bürgerdienste spontan zurück, weil sie so überhaupt nicht seinen fachlichen Kompetenzen in der Stadtentwicklung entsprechen. Hut ab vor dieser Entscheidung!

Der neue Bezirksbürgermeister von Mitte heißt Stephan von Dassel (Bündnis 90 / Die Grünen). Er wurde mit 42 von 54 abgegeben Stimmen (einer der Bezirksverordneten war entschuldigt) gewählt und verantwortet die Ressorts Ordnung, Wirtschaft, Personal und Finanzen. Ephraim Gothe (SPD) wurde mit 41 Stimmen zum neuen Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit gewählt. Er ist gleichzeitig stellvertretender Bürgermeister. Sabine Weißler (Bündnis 90 / Die Grünen) wurde mit 43 Stimmen zur Bezirksstadträtin für Weiterbildung, Kultur, Umwelt und Naturschutz sowie Straßen- und Grünflächenamt gewählt. Carsten Spallek (CDU) wurde mit 39 Stimmen Stimmen Stadtrat für Schule, Sport und Facility Management. Damit erzielten alle Bezirksamtsmitglieder eine Zustimmung von deutlich über 70%, über die Grenzen der Zählgemeinschaft oder der zu erwartenden Stimmen hinaus, wie Stephan von Dassel betonte. Für den 17. November ist die Wahl des Stadtrats / der Stadträtin für Jugend und Bürgerdienste (Die Linke) geplant.

Von Dassel sagte den Beginn eines neuen kooperativen Politikstils voraus: alle Bezirksamtsmitglieder wollen über Parteigrenzen hinweg gemeinsam, konstruktiv, aber auch in der Sache hart miteinander ringend, das Beste für den Bezirk Mitte erreichen.
Gothe erklärte, dass der Zuschnitt seines Ressorts schon etwas ungewöhnlich sei. Doch wenn sich manchem der tatsächlich bestehende Zusammenhang zwischen Stadtentwicklung, Sozialem und Gesundheit nicht sofort erschließt, soll sein Motto für die nächsten fünf Jahre die Entwicklung einer gesunden und sozialen Stadt sein.
Spallek wird mit der Schulentwicklungsplanung für die wachsende Stadt viel zu tun haben. Erweiterungs- und Neubauten sowie die Erhaltung bestehender Gebäude sind notwendig um die Kapazitäten der Bedarfslage anzupassen. Er will sicherstellen, dass alle zur Verfügung gestellten Mittel auch ausgegeben werden können.
Weißler erklärt sich sehr erfreut über die Erweiterung ihres Ressorts durch die Übernahme des Straßen- und Grünflächenamtes. Denn bisher stieß die Abteilung Naturschutz regelmäßig an Grenzen. Jetzt sind Freiraum- und Verkehrsplanung und deren Umsetzung in einer Hand. Für die Verbesserung des Radverkehrs soll viel getan werden.
Von Dassel betonte die gute Zusammenarbeit bei der Übergabe der Geschäfte und sprach noch einmal seinen Dank an Dr. Hanke aus, der erklärt habe als Bezirksverordneter in der BVV Mitte zu bleiben. Er begrüßt, dass der Personalabbau der Verwaltung nun der Vergangenheit angehört: „Doch der Bezirk muss sich anstrengen, dass neues Personal auch zu uns will.“ Alle anderen Behörden bezahlen besser. Mit Transparenz und guter Zusammenarbeit will er punkten.

Die Fragen der Journalisten berührten hauptsächlich einzelne in der Vergangenheit teilweise kontrovers diskutierte lokal begrenzte Probleme aus einzelnen Ortsteilen – bis auf die letzte Frage: „Herr Bürgermeister, wer sind Sie eigentlich ganz persönlich?“
Von Dassel gab bereitwillig über seinen persönlichen Werdegang Auskunft: 49 Jahre, verwitwet, eine erwachsene Tochter, die sich durch das Jurastudium quält. Er hat nie etwas anderes als Politik gemacht, denn schon mit 17 Jahren ist er bei den Grünen eingetreten. Mit Verwunderung sieht er jetzt den Erfolg der Grünen in Baden-Württemberg. Er kann sich noch genau daran erinnern, wenn er auf der Schwäbischen Alb ein grünes Plakat an eine Scheune klebte, dann kamen sofort zwei Kadettfahrer an und er musste sich in die Büsche schlagen. Zivildienst hat er in einem Altenheim in München absolviert, in der Nähe zum Fußball mit Absicht. 1989 kam er zum Politikstudium nach Berlin, wohnte an der Osloer Straße und hat den Fall der Mauer an der Bornholmer Straße miterlebt. Nach dem Studium war es nicht so einfach. Er musste sich hocharbeiten vom Fraktionsassistenten der Grünen in Mitte über den Fachreferenten im Berliner Abgeordnetenhaus bis zum Stadtrat. Mit nur einer Stimme Vorsprung wurde er 2009 nominiert. So stellt er zum Schluss humorvoll fest: „Eine berufliche Karriere ist nicht nur Leistung, sondern man muss auch Glück haben.“

Damit hat jetzt der MoabitOnline-Artikel „Von Königen und … – Politik in Mitte“ aus der vergangenen Wahlperiode nach 642 Kommentaren unserer Leser*innen ausgedient.

Artikel in der Berliner Morgenpost.

Nachtrag:
Stadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste: Dr. Sandra Obermeyer

Im Januar 2017 wurden die Bezirksregionenprofile im Bezirk Mitte aktualisiert und im Februar ist das Bezirksprofil Mitte erschienen. Hier herunterladen.

310 Kommentare auf "Grün-rote Zählgemeinschaft in Mitte"

  1. 301
    H. E. says:

    Wie unsere SPD-Grüne-FDP-Regierung unsere Steuergelder vergeigt statt Wohnungen und vor allem Sozialwohnungen zu bauen.
    Hinzu kommt, dass mit diesem Bürobau auch noch Baufirmen und Baumaterialien in großem Umfang gebunden bzw. verbraucht werden, die an anderer Stelle im Wohnungsbau fehlen.
    Und drittens: Statt weiteren Bürobutzen könnte man genau hier sehr viele Wohnungen bauen, denn in der Stadt gibt es bei Bürobauten einen immensen Leerstand.
    https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/exklusiv-regierungsviertel-in-berlin-kanzleramt-teurer-erweiterungsbau-kommt-die-begruendung-hats-in-sich-li.374938

  2. 302
    BVV-Beobachter says:

    Ziemlich krass! Die Oktober-Sitzung der BVV wird aufgrund von PERSONALMANGEL im BVV-Büro abgesagt … es ist kaum zu glauben, aber wahr:
    https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung.1374640.php

  3. 303
    H. E. says:

    Nicht zu fassen! Wenn ich mir überlege, wie viele Sozialwohnungen die landeseigenen Berliner Wohnungsbaugesellschaften mit 1,2 Milliarden Euro bauen könnten.

    https://www.tagesspiegel.de/kultur/pergamonmuseum-wagen-wir-den-wettbewerb-10665892.html

  4. 304
    H. E. says:

    Im Senat wehrt man sich ja mit Kopf, Händen und Füssen gegen die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. Aber es gibt eine Alternative, die zumindest zur Vertreibung dieser vom Finanzmarkt getriebenen Wohnungsunternehmen führen würde:
    „Marktzugangsbeschränkung“ heißt das Zauberwort. Mal sehen, wie Wegner, Giffey & Co darauf reagieren:
    https://www.berliner-mieterverein.de/…

    Und die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ arbeitet intensiv an einer Variante ihrer Kampagne. Sie erarbeitet jetzt ein Gesetz zur Enteignung und wenn das im Rahmen einer erneuten Volksbefragung befürwortet werden sollte, kann der Senat nichts mehr verhindern, denn das muss (!!) er umsetzen.

  5. 305
  6. 306
    H. E. says:

    Hier kann man eine Petition der Berliner Polizei (!!) für ein Silvester-Böllerverbot unterzeichnen:

    https://innn.it/boellerverbot

  7. 307
    Zeitungsleser says:

    … genauer gesagt: Petition der Gewerkschaft der Polizei

  8. 308
    H. E. says:

    Eine große Chance wurden von Berliner Politik und Verwaltung vertan:
    https://www.youtube.com/watch?v=TaYX9WszbDs

  9. 309
    H. E. says:

    Gestern (08.02.2024) gab es in der rbb-Abendschau die folgenden neuen Zahlen zu den Berliner Sozialwohnungen:

    – 530.000 Berliner Haushalte (!!) haben wegen einem niedrigen Einkommen ein Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) und damit auf eine Sozialwohnung,
    – 1.980.000, also ca. zwei Millionen Berliner betrifft das, da ja zu sehr vielen Haushalten mehrere Personen (z. B. Eltern und Kinder) gehören,
    – 60 % aller Berliner sind das,
    – auf jede vorhandene Berliner Sozialwohnung kommen daher aktuell 22 berechtigte Berliner,
    – 91.000 Sozialwohnungen gibt es nur,
    – 14.000 davon entfallen in den nächsten zwei Jahren, da die staatliche Förderung endet,
    – weitere 14.000 entfallen ebenfalls in den nächsten zwei Jahren, weil andere Förderprogramme enden,
    – Haushalte, die irgendwann wegen einem höheren Einkommen kein Anrecht mehr haben, müssen nicht ausziehen und die Höhe des Einkommens wird nicht überprüft.

  10. 310
    H. E. says:

    Es wär‘ schön, wenn viele Mitbürger hier unterzeichnen könnten, um den Abriss eines riesigen und offenbar intakten Rohbaus gegenüber der Urania zu verhindern. Es soll offenbar im öffentlichen Auftrag abgerissen werden, nur um noch mehr Büros zu bauen, die keiner mehr braucht:
    https://www.change.org/p/stoppt-den-abriss-des-hochhauses-an-der-urania-4-10-stattdessen-umbauen?signed=true

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