So können Sie mitmachen!

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt …

Montag nach dem 1. Advent gefiel es unserer 94-jährigen Nachbarin Frau D., abends ihre alten Zeitungen in der Nähe eines Teelichts zu sortieren.

Sibylle S. schlief schon, als sie dramatisch von ihrem zufällig zu Besuch weilenden Sohn Vivek aus dem Traum gerissen wurde. Sie hätte, schwer hörend, wie sie ist, die sich entwickelnden giftigen Dämpfe  vielleicht bis zum Nie-mehr-Erwachen  in ihren Traum eingebaut.

Anne F. hörte die schließlich um Hilfe rufende Frau D. und alarmierte das Haus, „Feuer, Feuer“ rufend.

Das war mein Moment. Mit Kopfhörern fernsehend, schien es mir draußen etwas unruhig, sodass ich auch mal nachsah. Vivek stürzte sich mit immer neuen nassen Tüchern in die bereits brennende Wohnung von Frau D. und rettete praktisch auch deren Leben. Sibylle rief die Feuerwehr. Frau K. aus dem 2. Stock, als lebenslange Farmerin sehr patent, stützte die kaum noch laufen könnende Frau D. und brachte sie aus dem Gefahrenbereich.

Wir fanden uns schließlich alle im Erdgeschoss wieder, wo unsere Leiterin Frau Goldscheck bereits vor der Feuerwehr eingetroffen war und beruhigend und organisierend auf Letztere und uns einwirkte. Wie wir hören, waren die Männer von der Feuerwehr nicht nur kompetent, sondern geradezu liebevoll.

Wir sollten schließlich alle vier  im Motel übernachten, Frau D. kam für eine Nacht ins Krankenhaus. Anne und Sibylle im Nachthemd wurden von den Feierabend und Freizeit nicht achtenden Schwestern Anna-Liisa, Ilse und Katarczyna aus dem Notfundus von Anna-Liisa liebevoll eingekleidet. Anne obenrum  ganz in frauenfreundliches  Lila, mit einer Skihose und robustem Schuhwerk, Sibylle mit einer Art Küchensari über den gestreiften Schlafanzughosen. Nur ich sah stadtfein aus mit meinem handgefilzten roten Kleid mit flatternden Seidenärmeln.

Spät nachts hatten Polizei und Feuerwehr ihre Arbeit gründlich erledigt  und ein wenig Notgepäck konnte aus den Wohnungen für die Motelnacht geborgen werden. Als wir die Zimmer bezogen, brannte auf jedem der dort installierten Fernseher ein lustiges virtuelles Kaminfeuer, wir hätten es die ganze Nacht betrachten können.

Ich kann mich eigentlich ohne  Rollstuhl gar nicht mehr bewegen, schaffte trotzdem die Nacht und die Distanzen  mithilfe meines Rollators und meiner Nachbarinnen. Obwohl äußerlich die Eleganteste von allen, schleppte ich einen blauen Riesenmüllsack mit Windeln mit mir (die Schwestern hatten mir eine „Notration“ eingepackt, die mindestens für einen Monat gereicht hätte), zusätzlich zu einem Korb mit Greifzange und Socken. Wir alle waren ein denkwürdiger Anblick, Flüchtlinge, die aber Gott sei Dank wie die wirklich Verfolgten nicht übers Mittelmeer mussten.

Text: Sigrid Bellack

PS:
Zurückgekehrt, stellte sich heraus, dass die Wohnung von Frau D. komplett verbrannt ist,  sie ist inzwischen von  ihren Kindern aufgenommen worden. Der Flur ist total verrußt, die Fenster sind geborsten.
Sibylle S.‘ Wohnung ist unbewohnbar, Putz fällt von den Wänden, alles hat einen schmierigen schwarzen Film vom Rauch. Sie wird eine Ferienwohnung hier in Tiergarten mieten.
Anne F.,  deren Tür die Feuerwehr eingeschlagen hatte, kehrte in der 3. Nacht mit dem Ziel zurück,  in der Wohnung zu übernachten. Mangels Strom und wegen des immer noch beißenden Geruchs verzichtet sie auf die Nutzung ihrer Wohnung.
Ich bin offenbar die am wenigsten Geschädigte. Das ist auch gut so, könnte ich doch auf keinen Fall bei meinen Freunden hier in Tiergarten Nachtasyl beantragen: ich käme die Treppen überhaupt nicht mehr hoch. Also liege ich nachts ganz allein auf der Etage in meinem Bett, ab und zu höre ich den Wind durch die zerborstenen Scheiben der Wohnung von Frau D. und durch die Flurfenster pfeifen – und fühle mich geborgen.
Der Letzte in unserem Bunde, Vivek, Retter von mindestens zwei Menschen, im wirklichen Leben Philosoph, Sanskrit- und Lehrer indischer Weisheiten, sitzt, so höre ich, in der Ersatzwohnung in einem weißen Gewand – und meditiert.

PPS:
Dieser Text war eigentlich für den Christophorusbrief des Haus Christophorus am Eyke-von-Repkow-Platz gedacht. Nachdem er dort nicht erschienen ist, möchte ich die Menschen, die bei der Rettung halfen, auf diesem Weg würdigen und uns als „komische Helden“ dieser Nacht zeigen.

So sehen die Berichte in der B.Z., Berliner Morgenpost und Moabit.net aus.

Schreibe einen Kommentar

Beachte bitte die Netiquette!