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Mitternachtsnotar – wieder ein Moabit-Krimi

Bettina Kerwien hat sich nach ihrem fulminanten Berlin-Krimi „Märzwinter„, der zu einem guten Teil in Moabit spielt, in hrem neuen Krimi „Mitternachtsnotar“ dem brisanten Thema Gentrifizierung gewidmet. Hier geht es jedoch nicht um Gentrifizierung in Moabit, sondern um eine zwar idyllische aber heruntergekommene Kleinhaussiedlung „Am Rabennest“ in Reinickendorf, die unter Denkmalschutz steht. Die Häuser sollen luxusmodernisiert und einzeln verkauft werden. Deutlich ist der Tegeler Originalschauplatz zu erkennen, selbst die Klobürste als Protestsymbol hat verfremdet in einen Saugpömpel Eingang in die Literatur gefunden. Eine windige Immobilienfondsgesellschaft hat die Siedlung von einer Wohnungsbaugesellschaft erworben und will die langjährigen Mieter und Mieterinnen mit überzogenen Modernisierungen und horrenden Mieterhöhungen vertreiben. Die wehren sich mit täglichen Demonstrationen inklusive Kuchen und Grillwürstchen.

Doch plötzlich hängt der Hausmeister am Dachbalken – Mord oder Selbstmord ist die Frage. Diese Szene ist wie viele andere einfach zum Schreien. Eine Kaufinteressentin aus München, die nicht zu knapp geerbt hat, muss Steuern sparen, will sich aber trotzdem keine Schrottimmobilie aufschwatzen lassen und deshalb die Dachbalken inspizieren. Sie ist geschockt: „Damit will i nix zum tuan ham!“ und bekreuzigt sich, denn: „Ein am Holz Aufghängta ist verflucht bei Gott.“ Hausmeister Michael Waschke war ein Schulfreund von Oliver Trasseur, einem der Geschäftsführer der Immobiliengesellschaft. Seine Lebensgefährtin Saskia Schwarz, die während des Studiums im Bezirksamt und bei der Wohnungsbaugesellschaft gejobt hatte, ist die zweite Geschäftsführerin. Sein Vater Konrad Trasseur beurkundet als Mitternachtsnotar bei einer ausschweifenden Vertriebsparty die Kaufverträge. Danach rast er mit seinem Auto fast in die Spree und stirbt an der Dampferanlegestelle. Wie zu erwarten sind Schmiergelder im Spiel, korrupte und perverse Politiker inklusive.

Die Hauptfiguren, die durchgeknallte Escortlady Liberty Vale und der geheimnisvoll menschenscheue Privatdetektiv Martin Sanders, kennen wir schon aus „Märzwinter“. Beide haben ihre Basis in Moabit. Während der unter Waschzwang leidende Sanders schon seit langem ein Appartement auf dem Moabiter Werder bewohnt, eröffnet er gleich zu Beginn sein neues Büro ausgerechnet in der Beusselstraße, über einer „Muckibude“ neben dem Getränkemarkt. Seine überkorrekten Anzüge kauft er bei einem unauffälligen Herrenausstatter in der „oberen Turmstraße“. Dieser Laden existiert heute allerdings nicht mehr. Er scheint der realen Gentrifizierung zum Opfer gefallen zu sein oder hatte Nachfolgeprobleme. Seinem Vermieter Pawel Krawczyk kommt sein neuer Mieter gleich bekannt vor, denn der war in einem früheren Leben Polizist, bis er ausgerechnet im Beusselkiez auf Zivilstreife ein aktenkundiges Mafiamitglied, bei dem sein Kollege eine Waffe findet, kontrolliert. Im Sportwagen sitzt der zwölfjährige Bruder des Gangsters, Rocco Lorenzo. Als der vorne in seine Jacke greift, reagiert Sanders automatisch und erschießt ihn. Der Clan rächt sich an seiner schwangeren Frau. Diese Ereignisse liegen schon Jahre zurück. Sie haben sowohl seine Polizeikarriere als auch seine Ehe beendet. Im Verlauf der Geschichte wird ein weiteres lang zurückliegendes Trauma Sanders enthüllt, das seine Reserviertheit dem eigenen Vater und dessen neuer Familie gegenüber erklärt. Der renomierte Dahlemer Rechtsanwalt mit entsprechender Villa engagiert seinen Sohn, denn er hat sich am Investmentfonds der Kleinhaussiedlung beteiligt, ohne sich weiter um die Umstände zu scheren. Jetzt erhält er Drohbriefe und ängstigt sich um seinen jüngeren Sohn.

Liberty Vale, genannt Libby, hat nach Abbruch ihres Jura-Studiums als Stewardess gearbeitet. In „Märzwinter“ war sie Sanders Partnerin, hier wird sie „zufällig“ von einer ganz anderen Seite in den Fall hineingezogen, als Escortlady eines Kommunalpolitikers. Sie wohnt immer noch über Ümit Ehrlichers Süpermarket Ecke Oldenburger Straße und versucht ihre Enttäuschung über mangelndes persönliches Interesse von Sanders in Alkohol und nächtlicher Arbeit zu ertränken, während Jugendliche mit unverkennbarem Moabit-Slang versuchen einen Blick durch die Gardinen zu erhaschen. Sie hat immer noch an den Folgen des Notrutschenskandals zu knabbern, die in einer 200.000 Euro Schadensersatzklage der Airline bestehen, weil sie sich kurz vor dem Abflug mit einer Notrutsche vor einem übergriffigen Schauspieler in Sicherheit gebracht hatte. Nach dem Öffnen einiger offizieller Schreiben und der Kündigung ihrer Rechtsschutzversicherung nimmt sie Kontakt auf zu einer Studienkollegin, Dr. Selma Ehrlicher, Süpermarket-Ümits Tochter. Nur kurz den Mantel über den Schlafanzug geworfen und auf ins Büro schräg gegenüber im Altneubau Turm-/Ecke Ottostraße, wo sich auch das Büro des Escort-Services befindet, für den sie arbeitet. Im Aufzug ein passendes Graffitti: „Hurntöschta21“. Als sie sich wieder fürs Studium angemeldet hat, trifft sie Dr. Helen Sturm, Psychotherapeutin, die auch noch eine geheimnisvolle Rolle in der Geschichte spielen wird.

Die Autorin wohnte zwanzig Jahre in Moabit, bevor sie nach Reinickendorf wechselte. So ist es ihr gelungen viele Schauplätze bis in die Einzelheiten authentisch zu beschreiben. Humorvoll stellt sie die schlagfertige Libby und den wortkargen Sanders in die unmöglichsten Situationen. Beide wirken absolut selbstsicher, reflektieren aber tatsächlich ihr Verhalten selbstkritisch. Unerwartete Rückblenden eröffnen immer neue Spannungsbögen, abgelöst werden sie von rasanten Actionpassagen, die manchmal ein wenig übers Ziel hinausschießen mögen.

P. S.:
Da wir bei MoabitOnline nun nicht für jeden neuen Moabit-Krimi auch einen neuen Artikel schreiben wollen, soll hier noch angemerkt werden, dass auch Bernd Mannhardt wieder einen neuen Krimi geschrieben hat: „Giftzwerg„. Er spielt in der Kleingartenkolonie in der Lehrter Straße rund um den Beamtenfriedhof des Zellengefängnisses.

Die Bücher:
Bettina Kerwien, Mitternachtsnotar. Berlin-Krimi, Broschur, 309 Seiten, 2017, Jaron Verlag.
Bernd Mannhardt, Giftzwerg. Kriminalroman, Paperback, 272 Seiten, 2017, be.bra verlag.

Die Lesungen:
Am Freitag, den 15. September um 20 Uhr liest Bettina Kerwien in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung, Turmstraße 5 aus „Mitternachtsnotar“.
Weitere Lesungen von Bettina Kerwien sind hier zu finden.
Am Donnerstag, den 28. September um 19 Uhr liest Bernd Mannhardt in Myer`s Hotel, Metzer Straße 26 aus „Giftzwerg“. Er wird begleitet von dem Saxophonisten Joachim Gies.
Am Samstag, den 25. November um 19:30 Uhr liest Bernd Mannhardt in der Buchkantine, Dortmunder Straße 1.

Ein Kommentar auf "Mitternachtsnotar – wieder ein Moabit-Krimi"

  1. 1
    Susanne Torka says:

    und auch Volker Kutscher hat sich Moabit zugewandt, in den 1920er Jahren:
    http://www.galiani.de/buch/volker-kutscher-moabit/978-3-86971-155-3/
    illustriert von Kat Menschik, hier eine Leseprobe:
    http://www.galiani.de/files/lp_978-3-86971-155-3.pdf
    Lesung in der Dorotheenstädtischen Buchhandlung aber erst am 14. November 2017

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