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Lokalgeschichte: Industrialisierung Moabits

“In Moabit vollzieht sich die größte industrielle Konzentration der gesamten Berliner Innenstadt”

heißt der 2. Teil des Kurses über die Industrialisierung Moabits der “Geschichtswerkstatt – Arbeitskreis zur Lokalgeschichte” der City-VHS. Die Reihe, betreut von Bernd Hildebrandt und Dr. Ulrich Cimiotti, startet am 25. Januar bis zum 15. März (Kosten für die Reihenbuchung 10 Euro). Die Einzelveranstaltungen können auch separat besucht werden (Kosten je 5 Euro). Zeit und Ort (wenn nicht anders angegeben): di 17 – 19:15 Uhr im Stadtschloss Moabit, Rostocker Straße 32, Raum 5. In die Rostocker Straße musste Heimatverein und Geschichtswerkstatt Tiergarten e.V. Ende letzten Jahres umziehen. Die Termine sind im Veranstaltungskalender von MoabitOnline eingetragen.

Nachdem sich ab 1830 im ländlichen Moabit Gewerbebetriebe zunächst zwischen Spree und Alt-Moabit ansiedeln – Porzellanfabriken, Maschinenbau, Eisenwalzwerk und später auch die Nahrungsmittelindustrie – Vorreiter eine Brauerei schon 1826 -, nimmt die Bautätigkeit immer mehr zu. Eine wichtige Rolle haben dabei die Grundstückspreise gespielt (laut Hofmeister* kostete ein Morgen Land im Berliner Stadtgebiet um 1850 40.000 Taler, in Moabit ab 200 Taler). Über Schumanns Porzellanmanufaktur und Schomburgs Industire-Porzellan, Borsigs Eisen- und Walzwerk, die Maschinenbauanstalt der Königlichen Seehandlung, die auch von Borsig übernommen wird, und weitere Betriebe der ersten Phase der Industrialisierung wurde in der vorhergehenden Veranstaltung ausführlich berichtet. Unterkünfte für Arbeiter in der Nähe der neuen Fabriken werden gebaut. Neue Straßen werden angelegt. Im Jahr nach der Eingemeindung Moabits 1861 gilt hier auch der Hobrechtplan, durch den Grundstücke mit große Tiefe parzelliert werden können. Im Zusammenhang mit Bodenspekulation und mangelhafter Baugesetzgebung entstehen die berüchtigten Mietskasernen mit mehreren engen Hinterhöfen, die die ein- oder zweistöckigen Vorstadt-Häuser verdrängen. Lebten 1835 nur etwa 700 Personen in Moabit, sind es 1861 zum Zeitpunkt der Eingemeindung nach Berlin schon etwa 6.500 Personen. Aber erst jetzt kann man von der Bevölkerungsexplosion reden: in den nächsten 20 Jahren verdoppelt sich alle 10 Jahre die Einwohnerzahl und erreicht 1910 190.000. Arbeiterbevölkerung und kleine Handwerker leben in unbeschreiblichem Elend: in Kellerwohnungen, mit feuchten Wänden, Toiletten auf Höfen oder Treppenabsätzen. Die Wohnungen sind überbelegt und für viele unbezahlbar, so werden Strohsäcke und Betten untervermietet. Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es umfangreiche Bestrebungen menschenwürdige Mietverhältnisse zu erreichen. Genossenschaften werden gegründet und einige Reformwohnungsbauten errichtet, wie z.B. in der Elberfelder oder der Sickingenstraße schon 1893/94 von Alfred Messel. War zu Beginn der Industrialisierung noch die Spree als Verkehrsweg wichtig, sind jetzt neue Schienen-Verkehrswege gebaut worden. Besonders wichtig war die Eröffnung der Ringbahn und ein günstiger Vorstadttarif. Borsig verlegt seine Großindustrie, die am Standort Moabit nicht mehr weiter wachsen kann, nach Tegel. Nach Abriss der Fabriken werden die Grundstücke parzelliert. Es entstehen neue bürgerliche Wohnviertel südlich von Alt Moabit. Das Straßenleben war vielfältig, viele kleine Geschäfte zur Versorgung der Bevölkerung in den Erdgeschossen, viele Gaststätten, Kneipen und Kaschemmen.

Weiter westlich haben sich weitere große Industriebetriebe angesiedelt im noch heute bestehenden größten innerstädtischen Industriegebiet Berlins, dem ehemaligen Martinickenfelde. Das AEG-Turbinenwerk besteht immer noch (jetzt Siemens), während von Ludwig Löwes Nähmaschinenfabrik, die sich später auf Waffen spezialisierte, nur noch Festsaal übriggeblieben sind. Elektrotechnik, Metallverarbeitung und die Nahrungsmittelindustrie bleiben in Moabit und dehnen sich weiter aus: Bolles Meierei, Pumpernickelfabrik Sökeland, Brotfabrik Matthes, die Schüttmühle usw.

Aber hier soll ja noch nicht alles verraten werden, dieses Semester des Kurses verspricht mal wieder interessant zu werden.

Themen und Termine der Geschichtswerkstatt:
Wohnen. Wohnungsbericht der AOK 1906. Suche nach menschenwürdigen Mietverhältnissen: Genossenschaften, Bernd Hildebrandt, 25. Januar, 17 Uhr
Versorgung der Bevölkerung. Kleinbetriebe wie Kohlenhandlungen, Lehbensmittelläden und Gaststätten, Bernd Hildebrandt, 1. Februar, 17 Uhr
Führung zu ehemaligen Industriestandorten im Beusselkiez, Bernd Hildebrandt, Treffpunkt „Café Sechseck“, Hutten – Ecke Wiebestraße, 8. Februar, 15 Uhr
Führung durch das Kraftwerk Moabit mit Dr. Uwe Lemm. Im Jahre 1900 ging die „Centrale Moabit“ mit der dem Gleichstrom überlegenen Drehstromtechnik ans Netz, Bernd Hildebrandt, Treffpunkt: Haupteingang Friedrich-Kraus-Ufer 1 / Putlitzbrücke, 15. Februar, 16 Uhr
Schwerpunkt Elektroindustrie. UEG (Straßenbahnen), elektrotechnische Bauteile (Röhren, Kondensatoren, Gleichrichter, Leuchtmittel etc.) AEG, Telefunken, Osram und Auer, Dr. Ulrich Cimiotti, 22. Februar, 17 Uhr
Spaziergang durch das Industrieviertel im Südwesten Moabits. Adrema (Adressiermaschinen) an der Gotzkowskybrücke. Besichtigung des 115jährigen Elektromotorenherstellers Schmidtsdorff in Alt-Moabit 73. Dr. Ulrich Cimiotti, Treffpunkt: Gotzkowskystr. /Alt-Moabit (vor dem Adrema-Hotel), 1. März, 16 Uhr
Firmengeschichte Ludwig Loewe von der Nähmaschine zur Artillerie im 1. Weltkrieg, Waffen für den 2. Weltkrieg (Maschinengewehre), Werkzeugmaschinen und Präzisionswerkzeuge. Dr. Ulrich Cimiotti, 8. März, 17 Uhr
Spaziergang Lehrter Straße. Eisenbahngelände, Industriegebiet, Kasernen, Fritz-Schloß-Park, Zellengefängnis. Dr. Ulrich Cimiotti, Treffpunkt: Lehrter /Perleberger Straße, 15. März, 16 Uhr

* Burkhard Hofmeister: Moabit. Durchgangsstation im Zuge der Randwanderung der Industrie? in: Berlin. Von der Residenzstadt zur Industriemetropole, Bd. 1

Link zur Geschichtsbroschüre von 1961, die auf MoabitOnline dokumentiert ist.

Nachtrag:
Hier der Link zu einem Schulprojekt der Hedwig-Dohm-Oberschule mit dem Jugendclub Schlupfwinkel zur Geschichte des Beusselkiez.

5 Kommentare auf "Lokalgeschichte: Industrialisierung Moabits"

  1. 1
    trambär says:

    Eine Korrektur sei hier angemerkt: Von Loewes Fabriken ist doch mehr erhalten: Da sind zum einen die Bauten in der Huttenstraße (westlich des mittleren Tores) mit den Türmchen und da ist noch der große Komplex im Winkel von Huttenstraße 45-48 und Wiebestraße 45-42, der von dem hier vor allem durch Bauten für die BVG bekannten Architekten Alfred Grenander entworfen wurde. Die sog. Arnold-Voigt-Halle (benannt nach dem Architekten) an der Wiebestraße 20 ist jedoch leider vor Jahren der „Wellblechgarage“ von Siemens gewichen. Ein wichtiger Zweig von Loewes Produktpalette war übrigens die Herstellung von Werkzeugmaschinen (Drehbänke, Fräsmaschinen u.s.w.) und auch von Normteilen wie z.B. Schrauben.

  2. 2
    Susanne Torka says:

    Ja trambär stimmt,
    am Schluss hab‘ ich doch wohl ein bißchen zu schnell gehuddelt, wollte rechtzeitig fertig werden.
    Hier lässt sich sehr kurz zusammengefasst einiges dazu nachlesen:
    http://www.loewesaal.de/pages_de/geschichte.php
    und der Artikel zum Abriss der Arnold-Voigt-Halle von 1994:
    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1994/0606/berlinerbezirke/0013/index.html
    In der Denkmaldatenbank des Senats findet man diese ganzen Gebäude auch mit vielen Detailangaben:
    http://www.stadtentwicklung.berlin.de/denkmal/liste_karte_datenbank/index.shtml

  3. 3
    H. E. says:

    Wellblech muss nicht unbedingt ein schlechtes Material sein, nur weil es preiswert ist. Es kommt ganz darauf an, wie es eingesetzt wird und was der Architekt daraus macht. Und da finde ich die Siemenshalle an der Wiebe- / Ecke Huttenstraße schon gelungen. Sie ist ein Beispiel dafür, wie gut gebaut wird, wenn ein Bauherr Verantwortung gegenüber der Umgebung zeigt. Ob die Halle so lang sein muss (Hamberger und Hellweg-Baumarkt sind etwa ähnlich lang), ist eine ganz andere Frage.

    Wenn der Hamberger-Großmarkt so eine bauliche Qualität hätte, wäre es ein architektonischer Meilenstein gegen all das, was das Bezirksamt in den letzten Jahren für Moabit an größeren Bauten genehmigt hat: Aldi an der Invalidenstraße, Hotels am Bahnhof, Billig-Betten-Schachtel in der Lehrter Straße, Hellweg-Baumarkt und Tolmien-Lagerhaus an der Quitzowstraße.

  4. 4
    trambär says:

    Zu 3
    Zugegeben, die Halle ist weitaus besser als „Tolmien“ oder „Hellweg“. Aber mit der Verantwortung des Bauherren stimmt das nicht so ganz: Die alte Halle stand nämlich unter Denkmalschutz und ich kann mich noch an die Drohung von Siemens auf einer Veranstaltung damals erinnern, „die ganze Produktion nach Decin“ zu verlagern, wenn Siemens die alte Halle nicht abreißen dürfe, denn etwas weiter nördlich, da wo die Parkplätze sind, wäre der Baugrund schlechter … Und Arbeitsplätze waren schon damals ein jede konstruktive Diskussion beendendes „Totschlagsargument“!
    Die bessere Architektur ist daher eher als ein Verhandlungsergebnis mit den Denkmalschutzbehörden anzusehen, im weiten Sinne als sehr freies Zitat der alten Halle. Auf alle Fälle mußte die Arnold-Voigt-Halle vor dem Abriß genauestens dokumentiert werden und auch die erklärende Tafel vor der neuen Halle war Pflicht.

  5. 5
    A. H. says:

    Schade, auch den Güterbahnhof an der Siemensstraße hätte man zum Baudenkmal erklären und ihn wunderbar in Teilen zu einem Park umgestalten können, statt nur den kleinen Stadtgarten zu planen und den Rest mit einem überflüssigen Großmarkt und Parkplätzen zuzubetonieren.
    Das wär für Moabit und die ganze Innenstadt besser gewesen, auch unter dem Aspekt der zukünftigen Klimaentwicklung, der Frau Junge-Reyer ja seit gestern mit einem neuen Grün-Programm für Berlin Rechnung tragen will.

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