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Vor 70 Jahren in Moabit: Terror und Widerstehen

Einige weniger bekannte Beispiele

Moabit war der Berliner Stadtteil, in dem 1941, davor und auch noch danach, der Nazi-Terror und die verschiedensten Bemühungen, zu widerstehen, geographisch fast Seite an Seite existierten. Manchmal sogar in direkter Nachbarschaft. Christen, Sozialisten und Kommunisten versuchten jeder auf seine Weise ihren alten Idealen treu zu bleiben. Sie machten einander gegenseitig manchmal aber auch das Leben schwer. Und nur einige Straßenzüge weiter zeigte die Terrorherrschaft  des Hitlerstaates ihr hässlichstes Gesicht, wurden Menschen erniedrigt und gefoltert.

Der Mann, der als der „Henker von Berlin“ in die Geschichte eingehen sollte, kam aus der Moabiter Waldstraße: Wilhelm Friedrich „Willi“ Röttger, ein Pferdemetzger und Fuhrunternehmer. Er wirkte ab 1942 in den zentralen Hinrichtungsstätten in Berlin-Plötzensee und Zuchthaus Brandenburg-Görden, erhängte und köpfte mit seinen drei Gehilfen als freischaffender Henker von allen Scharfrichtern des Dritten Reichs mit großem Abstand die meisten Menschen, darunter zahlreiche Widerständler wie die führenden Köpfe der „Roten Kapelle“.

Röttger vollzog die Hinrichtungen in der Strafanstalt Plötzensee für ein Jahresfixum von 3000 Reichsmark plus  Kopfprämie. In einem Aufsatz von Matthias Blazek heißt es dazu: „So hat er in der siebten Septembernacht des Jahres 1943, um die Zahl der zum Tode Verurteilten „weisungsgemäß schnell zu reduzieren“, insgesamt 5580 Mark verdient, für 186 Vollstreckungen“. Seine Gehilfen sollen unter anderen zwei Moabiter Brüder namens Thomas gewesen sein, der eine Schmied, der andere Wirt der „Sängerklause“.

In Moabit, im Westen des Bezirks Tiergarten, lagen Großbetriebe mit riesigen Werkhallen, hier lebten Tausende von Arbeitern. Die kleinen Leute mit ihren Sorgen und Nöten waren insbesondere im Beusselkiez zuhause. Der Terror hatte sich etwa vier Kilometer weiter, ganz in der Nähe des Lehrter Bahnhofes, des heutigen Hauptbahnhofes etabliert. Auf dem Gelände des ULAP, des Universums-Landesausstellungsparks, Adresse Alt-Moabit 4-10, Ecke Invalidenstraße, gab es ein großes Restaurant. Während oben die Gäste tafelten, wurden unten Menschen in einem der geheimen Folterkeller gequält: Intellektuelle, Juden, Funktionäre von SPD und KPD wurden hierher verschleppt und gefoltert. Viele starben. Die SA hatte diese Folterstätte bereits im Februar 1933 unter dem Restaurant des so genannten Glaspalastes eingerichtet. Doch ganz so geheim scheint sie 1941 längst nicht mehr gewesen zu sein. Ein Zeitzeuge, Dr. Werner Rosenstock berichtet: „Dort feierte der Sadismus seine Orgien, und man sah, wie die Gefangenen mit blutunterlaufenen Striemen auf dem Rücken aus den Folternkellern herausgebracht wurden.“

Zu den Menschen, die in den Kellern unter dem Glaspalast leiden mussten, zählte laut anderer Zeitzeugen Helmut Rosenow (1908-1967) aus der Wilsnacker Staße 43. Er war offenbar  Nachrichtenleiter des inzwischen ebenfalls illegalen Reichsbanners und Zeitungsfahrer. Die Vereinigung „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ war 1924 in Magdeburg durch Republikaner, angeführt von der SPD, als überparteiliche Schutzorganisation gegründet worden. Rosenow hielt zu Zeiten des Nazi-Regimes die Verbindung zwischen Berliner Genossen und dem Exilvorstand in Prag aufrecht. Trotz mehrerer Verhaftungen  und Misshandlungen im ULAP setzte er seine Untergrundarbeit fort, überbrachte geheime Nachrichten, schmuggelte Flugblätter nach Berlin und konnte Verfolgten bei der Flucht ins Ausland helfen. Nach dem Krieg wurde er wegen seines Einsatzes für die SPD von Ost-Berlin aus in die Sowjetunion verschleppt und  für Jahre eingesperrt.

Nur wenige Häuser von den Folterkellern der SA entfernt, unter der Adresse Alt-Moabit 24/25 wirkte in der von Schinkel entworfenen Vorstadtkirche St. Johannis ein Mann im Kirchenkampf, der sich zur Bekennenden Kirche zählte: Pfarrer Hellmut Hitzigrath (1891-1950). Er gehörte zum Pfarrer Notbund und damit zu jenen Protestanten, die sich gegen die so genannten DC, die Deutschen Christen stemmten. Diese hatten schon vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler versucht, die Deutsche Evangelische Kirche für ihre politischen Zwecke einzuspannen. Zum Pfarrer Notbund, einer theologischen Arbeitsgemeinschaft, zählten Männer wie Hildebrandt, Niemöller, Müller, Praetorius, Röhricht und Jacobi. Der Moabiter Pfarrer Hitzigrath hielt durch bis zum Zusammenbruch des Nazi-Regimes und ging für seine Überzeugung auch ins Gefängnis. Er hat sich über seine eigene Gemeinde hinaus engagiert. Sein Sohn Rüdiger schilderte ihn später als einen bedächtigen Mann von eigentlich „deutschnationaler Gesinnung“. Hitzigrath hielt während der ganze Zeit des Tausendjährigen Reiches an der strikten Abgrenzung zu den Deutschen Christen fest und hat sich auch an der Arbeit der illegalen Kirchlichen Hochschule beteiligt. Das Gemeindehaus in Alt-Moabit wurde immer wieder zum Asyl für Besucher von inhaftierten Glaubensgenossen der nahen Haftanstalt. Die Kirche St. Johannis und das Gemeindehaus wurden später bei verheerenden Luftangriffen zerstört, die vielköpfige Pfarrersfamilie verlor am 1. Februar 1945 dabei ein Mitglied, den zwölfjährigen Sohn Siegward.

An anderer Stelle, an der Gnadenkirche (Invalidenstraße 45/47), der Erlöserkirche (Wikingerufer/ Ecke Levetzowstraße) oder der Heilige-Geist-Kirche (Perleberger Straße 36) hatte sich der Kirchenkampf indessen sehr schleppend entwickelt und erlahmte bald. 1939 existierte an Heilige-Geist zwar eine „Notgemeinde“, aber nur 140 bis 150 der knapp 17 000 Gemeindemitglieder besaßen die „Rote Karte“ der Bekennenden Kirche. Sie wurden von dem illegalen Pastor Birk betreut. Zu den internen Bibelstunden erschien jedoch nur etwa die Hälfte.

Besonders schwer war es für die Bekennende Kirche an anderer Stelle in Moabit: Die Reformationskirche Wiclefstraße lag mitten im roten Beusselkiez. Hier lebten zahlreiche Facharbeiter, die traditionell die Wähler der SPD gewesen waren. Die SPD war bereits 1933 verboten worden, doch die Arbeit ging im Untergrund weiter. Die bekannten Funktionäre waren allerdings inzwischen dem Terror zum Opfer gefallen oder untergetaucht. So kamen für die illegale Arbeit hauptsächlich eher Unbekannte in Frage, die sich den Reihen der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) oder dem bereits vor dem Parteiverbot gegründeten „Roten Stoßtrupp“ angeschlossen hatten.

Die KPD, die auch in Moabit die Partei der Arbeitslosen gewesen war, hatte ihre Hochburg im Beusselkiez, in der Rostocker-, Wittstocker-, Berlichingenstraße. Konspirative Wohnungen und illegale Verstecke der KPD gab es im gesamten Stadtgebiet, ein solcher geheimer Treff befand sich bis Herbst 1933 auch in der Moabiter Calvinstraße 13, also bis die politische Polizei das illegale Büro der Landesleitung der KPD (um Herbert Wehner und Wilhelm Kox) aushob.

Und dann gab es in Moabit noch die so genannten Versöhnler, eine Untergruppe der KP, die bereits seit 1934 eine eigene Zeitung herausbrachte und zur Bildung oppositioneller Arbeitergruppen beitrug – unter anderem bei Siemens und Osram. Viele Mitglieder dieser Gruppen wanderten ins Gefängnis. Der frühere Reichsbannermann und Sozialdemokrat Johannes Skorsetz aus  der Stephanstraße 33 zum Beispiel musste zweieinhalb Jahre Zuchthaus verbüßen. Ende Dezember 1942 wurde er zur Strafeinheit 999 eingezogen. Diese Einheit war im Oktober 1942 gegründet worden. In diesem Verband wurden die bisher vom Dienst in der Wehrmacht ausgeschlossenen „bedingt Wehrunwürdigen“ und „Kriegstäter“ herangezogen.

Ein anderer Arbeiter, Paul Rikowski, war sogar von der eigenen Ehefrau angezeigt worden. Auch der Kranwagenführer Raimund Faller aus der Birkenstraße 8/9 stand mehrfach vor Gericht. Im August 1943 wurde er erneut verhaftet und vom Volksgerichtshof wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt. Er wurde im März 1944 in Brandenburg hingerichtet.

Anmerkung der Verfasserin:
Das sind nur einige Beispiele von vielen. So mancher Name, so manches Schicksal ist schon lange in Vergessenheit geraten. Ich bin den hier beschriebenen begegnet, als ich für einen Roman und den Berliner Kriminalkommissar Kappe recherchiert habe.
Diese Reihe, die im Jaron Verlag erscheint, hat mit dem ersten Fall im Jahr 1910 begonnen und schreibt das Schicksal Kappes alle zwei Jahre mit einem neuen Fall fort. Für das Frühjahr 2012  sind Krimis mit Fällen aus den Jahren 1940, ’42 und ’44 vorgesehen. Die Autoren: Horst Boseztky (-ky) Jan Eik, die auch die Hauptschreiber dieser Serie sind, sowie meine Wenigkeit als Gastautorin. Ich beschreibe einen Fall im Jahr 1942.

Quellen:
Die Schicksale werden in einer Dokumentation von Hans-Rainer Sandvoß geschildert. Sie trägt den Titel „Widerstand in Mitte und Tiergarten“ aus der Reihe „Berlin, Widerstand 1933-1945“.
Kiersch/Klaus/Kramer/Richardt-Kiersch: Berliner Alltag im Dritten Reich, Droste Verlag Düsseldorf 1981
Werner Girbig: Im Anflug auf  die Reichshauptstadt, die Dokumentation der Bombenangriffe auf Berlin. Stuttgarter Motorbuch Verlag spezial, 2001.
Brigitte Oleschinski, Gedenkstätte Plötzensee, Hrsg: Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin
Liste der Publikationen der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Bilder:
Der Ausstellungspalast des ULAP in Berlin-Moabit. Das Gebäude wurde 1943 durch einen alliierten Angriff zerstört.
Quelle: Wikipedia
Konzertkarte 2008 mit Ankündigung vor dem Hintergrund von Schinkels Kirche St. Johannis. Die gezeigten Gebäude in Alt-Moabtit 24/25 wurden durch Bomben zerstört, im November 1943 die Kirche und 1945 auch das Gemeindehaus. Das COLLEGIUM IOANNEUM BERLIN ist im August 2005 von ehemaligen Mitgliedern der Lukaskantorei Berlin-Steglitz gegründet worden. Die Gruppe pflegt geistliche Chormusik und hat in der St. Johannis-Kirchengemeinde Alt-Moabit eine Heimat gefunden.

Text: Petra Gabriel

Zuerst erschienen in LiesSte, Zeitung für den Stephankiez, Nr. 18, April 2011 und auf Petra Gabriels Blog GuGL

5 Kommentare auf "Vor 70 Jahren in Moabit: Terror und Widerstehen"

  1. 1
    prolet says:

    Zu diesem gelungenen Artikel möchte ich noch hinzufügen:
    Trutz Trommer hatte in seinem Gutachten zur Lage einer Folterstätte auf dem Gelände (1991, im Rahmen der BUGA-Planungen) keinen genauen Ort ermitteln können. Es gab auf dem großen Gelände etliche Restaurationen (Trommer führt sie auf und hatte auch nach den Besitzern recherchiert), Berlin und seine Bauten (allerdings von 1896) nennt auch Restaurationen in den S-Bahnbögen, diese dürften nach den Viaduktverstärkungen aus den Zwanziger Jahren zum Teil auch Keller besesssen haben. Berlin und seine Bauten zeigt auch einen Querschnitt durch den großen Glaspalast, dieser war demnach allerdings nicht unterkellert. Spätere Umbauten sind zwar nicht auszuschließen, da aber die geflieste Bodenfläche des abgeräumten Glaspalastes nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang als Kohlenlagerfläche gedient hat, dürften wohl aufgrund des hohen Gewichtes keine Keller anzunehmen sein. Bei den Abräumarbeiten zugunsten des Zentralbahnhofes waren auch keine Keller „aufgetaucht“, auch nicht, als die letzten Reste (die Fundamentblöcke des Eingangsbereiches) im Rahmen der Anlage der kleinen Grünfläche an der Freitreppe entfernt worden sind. Es wird allerdings in Berlin und seine Bauten ein „offener Verbindungsgang“ vom Glaspalast zu einer „Maschinenhalle nördlich der Stadtbahn“ genannt (der Glaspalast stand südlich), so daß es nicht auszuschließen ist, daß die Zeitzeugen vom Glaspalast aus in ein Nebengebäude geführt worden sind. Die Nutzung der verschiedenen Baulichkeiten auf dem Gelände hatte sich mehrfach geändert, es sind auch immer wieder Gebäude abgerissen und durch neue ersetzt worden. In einem der verschiedenen Gebäude längs der Invalidenstraße sind schließlich kurz vor Kriegsende etliche Gefangene aus dem Zellengefängnis Moabit hinterrücks erschossen worden, unter ihnen Albrecht Haushofer.
    Albrecht Haushofer liegt als einziger dieser Toten auf dem Kriegsfriedhof an der Wilsnacker Straße begraben. Dieser Friedhof (ehemals Teil des Friedhofs von St. Johannis, dann Schulhof und schließlich notgedrungen Notbegräbnisplatz, weil die regulären Friedhöfe alle schon hinter der sowjetischen Front lagen) war auch eine Wirkungsstätte von Pfarrer Hitzigrath, denn er war dort für die Bestattungen der Kriegsopfer in Massengräbern zuständig und führte auch die erste Gräberliste, in die er so viele Angaben wie möglich über die meist unbekannten Toten eintrug. Diese Angaben haben Jahre und sogar Jahrzehnte später einige der bis dahin Unbekannten zu identifizieren geholfen.

  2. 2
    Jacoby says:

    Unter welcher Moabiter Straßenadresse war denn die „Sängerklause“ zu finden?

  3. 3
    Andreas Szagun says:

    zu 2:
    Das ist gar nicht so einfach, meine Recherche in den Adreßbüchern hat für 1942 kein Ergebnis zu „Sängerklause“ ergeben, allerdings sind die meisten Kneipen, Gaststätten u.s.w. nicht unter ihrem Namen, sondern unter dem Namen des Wirtes eingetragen. Die Suche bei „Thomas“, also den genannten Brüdern, ergab tatsächlich einen „Schmied“ und einen „Registrator“ in der Waldstraße, unter der Berufsbezeichnung „Gastwirt“ nur einen in der Stephanstraße. Dem Adreßbucheintrag nach muß dies die Gaststätte gewesen zu sein.

    Gaststätten und Kneipen hat es in der Waldstraße 18 gegeben, allerdings bezieht sich diese Zahl auf 1933. In den von der Geschichtswerkstatt ausgewertenten Listen findet sich aber weder der Name „Sängerklause“ noch der Pächtername „Thomas“ in der Waldstraße, letzterer wohl aber wiederum in der Stephanstraße. Damit könnte sich die „Sängerklause“, so sie auch tatsächlich so hieß und dies kein Spitzname gewesen war, sich über einen Zeitraum von wenigstens neun Jahren in einem heute nicht mehr existierenden Haus westlich des Stephanplatzes befunden haben.

  4. 4

    Sehr Informativ und interessant erläutert.
    Es ist doch immer wieder Erstaunlich, wie Geschichtsträchtig dieser Ortsteil ist und es ist Thematisch für Jedermann etwas dabei.
    Noch besser wäre, wenn Fotomaterial und andere Quellen vorhanden wären, die in der Zeit des Nationalsozialismus präsent sind.
    Speziefisch im Bezug zur der St. Johanniskirche in Alt Moabit und deren Historie über Personen die dort aktiv waren.
    Fotos über Hellmut Hitzgrath als Pfarrer im Widerstand im Nationalsozialismus und deren Gemeindemitglieder.
    Mit besten Grüßen
    Uta Hartwigsen

  5. 5
    Susanne Torka says:

    @4:
    bei der Nutzung von Bildmaterial besteht ja meistens das Problem der Veröffentlichungsrechte beziehungsweise enorme Kosten der Archive dafür, daher hat die Autorin damals notgedrungen auf diese beiden Bilder zurückgegriffen.

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